Kaufsucht - Shoppen als Krankheit
Live-TV ARD-alpha 13.11., 21:45 - 22:15 Uhr"Ich habe schon sehr früh Ablehnung gespürt. Man mag mich nicht, ich bin nichts wert." Sebastians Strategie dagegen: nächtelanges Shoppen. Das gerät außer Kontrolle und er läuft Gefahr, alles zu verlieren: Familie, Freunde, Haus, Job. Dieser extreme Kaufdrang, den Außenstehende kaum nachvollziehen können, ist wie ein Drogentrip, der ihn kurze Zeit glücklich macht. Doch immer schneller kommt danach der Absturz, begleitet von Scham, Selbsthass, Depressionen.
So wie er gelten ca. 5 % der Deutschen, also rund vier Millionen Menschen, als kaufsüchtig. Es ist eine unbemerkte Sucht, die sich rasant entwickelt. In den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil in den neuen Bundesländern verfünffacht! Betroffen sind Menschen jeden Alters, Frauen und Männer. Gekauft wird alles: Kleidung, Elektronik, Reisen, Dienstleistungen. Durch den Online-Handel hat sich die Situation noch verschlimmert.
Das beweisen auch die aktuellen Forschungen des Wirtschaftspsychologen Prof. Gerhard Raab. Er ist überzeugt: "In Zukunft, gerade unter Nutzung großer Datenmengen - Stichwort KI - werden Werbeangebote noch intensiver ganz zielgerichtet auf die einzelne Person entwickelt. Es wird darum gehen, den emotionalen Zustand des Online-Käufers zu ermitteln und ihn zum Kauf zu animieren."
Bianca steht schon heute vor der Katastrophe. Die IT-Expertin hat heimlich einen Kredit über 10.000 Euro aufgenommen, um shoppen zu können. Als das herauskommt, ist ihr Mann tief enttäuscht. "Wenn die Kinder nicht wären, er hätte sofort das Haus verlassen." Das ist der Moment, wo sie nach 20 Jahren Sucht begreift, dass sie krank ist und dringend Hilfe braucht. Aber es gibt viel zu wenige Selbsthilfegruppen, kaum Therapieplätze und Spezialisten.
Eine von Ihnen ist Prof. Astrid Müller vom Uniklinikum Hannover. Sie forscht seit 20 Jahren zur Kaufsucht und kennt den enormen Leidensdruck der Betroffenen.
Damit Kaufsucht endlich als Krankheit anerkannt wird, hat sie 2021 mit Experten aus 35 Ländern diagnostische Kriterien entwickelt. In der Folge hat jetzt die WHO zum ersten Mal überhaupt die Kaufsucht in ihren Klassifizierungskatalog aufgenommen. Damit ist es möglich, Kaufsucht zu diagnostizieren und die Kosten bei den Krankenkassen abzurechnen.