20:15
England, 1924: Jane Fairchild und Paul Sheringham sind seit längerem ein Liebespaar im Verborgenen. Denn Paul kommt aus gutem Hause und Jane ist das elternlose Dienstmädchen vom Nachbaranwesen. An einem sonnigen Sonntag im März kommt es zu einem letzten Rendezvous. Schon bald wird Paul eine andere heiraten. Es ist "Mothering Sunday", ein freier Tag für viele, Gelegenheit für Ausfahrten und Picknick-Treffen in der Natur. Herrschaften und Dienerschaft sind außer Haus, und so kann Jane unbemerkt und unbeschwert zu Paul radeln, der seiner Familie weisgemacht hat, er hätte allein noch etwas Wichtiges zu erledigen, bevor er zum Picknick nachkäme. Erstmals darf Jane das Herrenhaus durch das Hauptportal betreten. Darf mehr sein, als sie bisher war. Darf spüren, dass da mehr sein könnte im Leben. Als Paul sich später auf den Weg macht, streift Jane, beseelt vom vorangegangenen Liebesakt, allein durch das weitläufige Gebäude, nicht ahnend, welch schicksalhafte Wendung dieser besondere Festtag noch bereithält. Als Graham Swifts Roman "Ein Festtag" 2016 erschien, stürmte er die Bestsellerlisten. Die französische Regisseurin Eva Husson hat aus der Vorlage mehr als berauschendes Kostümkino gemacht. Ihre Verfilmung ist modern gestaltet und grandios besetzt mit Odessa Young und Josh O'Connor als junges Paar sowie den Oscarpreisträgern Olivia Colman, Glenda Jackson und Colin Firth. Das raffinierte historische Liebesdrama feierte seine Premiere 2021 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes.
21:55
Philip Roths viertes Buch "Portnoys Beschwerden" schlug bei seinem Erscheinen 1969 ein wie eine Bombe. Der Roman, dessen Kühnheit schockierte, ist intimes Bekenntnis, Sozialsatire und psychoanalytischer Monolog in einem. Der bissige Humor und die schonungslose Beschreibung der erdrückenden Verhältnisse in einer US-amerikanischen jüdischen Familie lösten einen Sturm bei Medien und Kritikern aus. Die Dokumentation wirft einen Blick zurück auf die damalige Rezeption des Kultbuchs und analysiert dessen bahnbrechende Wirkung und Modernität. Anhand von Romanauszügen, unveröffentlichten Archivaufnahmen und Gesprächen mit Einlassungen zeitgenössischer Schriftstellerinnen, Schriftsteller und Intellektueller setzt sich der Film mit Meinungsfreiheit, Zensur, Sexualität und religiösen Tabus auseinander. Würde "Portnoys Beschwerden" heutzutage erscheinen, würde er zensiert werden? Läge seine Schockwirkung weiterhin in der Darstellung des Sexuellen oder eher in der Kritik an kulturellen und religiösen Zwängen? Und wie wirkt Roths Werk heute? Kann man ihn im Zeitalter neuer Befindlichkeiten und Normen noch ohne Unbehagen lesen? Oder rückt Roth wegen seines ungefilterten Blicks auf sexuelles Verlangen, wegen seines Verhältnisses zu Frauen, seiner sprachlichen Exzesse und seiner bewussten Provokation ähnlich wie andere männliche Leitfiguren der Literatur eher in das Feld der "problematischen Autoren"? Was also sagt uns "Portnoys Beschwerden" über die aktuelle Literatur, über ihre neuen Grenzen und Grenzverschiebungen?
22:50
In Audiards Film geht es um die Einsamkeit dreier Menschen in der eintönigen, grauen Umgebung einer modernen Großstadt. Emilie, eine junge Französin mit chinesischen Wurzeln, wohnt allein in der Wohnung ihrer Großmutter in Paris. Um neben ihrem schlecht bezahlten Job im Kundenservice einer Telefongesellschaft etwas Geld zu verdienen, sucht sie eine Mitbewohnerin. Auf ihre Anzeige antwortet Camille, der mit seinem geschlechtsneutralen Namen Emilie zunächst nicht als Mann erscheint. Ihre erste Begegnung endet in Emilies Bett, woraufhin Camille direkt bei ihr einzieht. Der bindungsunfähige Gymnasiallehrer verbringt seine Freizeit mit literarischen Beschäftigungen und unverbindlichen Liebesbeziehungen. Sein Verhältnis zu Emilie leidet bald darunter, als sie anfängt, Gefühle für ihn zu entwickeln. Gleichzeitig zieht Nora neu ein. Auf der Flucht vor einer Beziehung mit einem geheimnisvollen Mann beginnt sie im Alter von 33 Jahren ein Jura-Studium an der Sorbonne, um ein neues Kapitel ihres Lebens aufzuschlagen. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit einer Pornodarstellerin namens Amber wird sie schnell Opfer von Belästigungen. Nora bricht das Studium ab. In ihrer Verzweiflung kontaktiert sie über das Internet ihre Doppelgängerin und beginnt, für private Treffen zu bezahlen. Die Wege von Emilie, Camille und Nora kreuzen sich auf ihrer ewigen Flucht. Anhand einer virtuosen Schwarz-Weiß-Bildgestaltung erforscht Jacques Audiard heutige Verhaltensweisen, die dazu dienen, eine innere Leere zu füllen.
00:30
Auf den ersten Blick wirken sie wie eine ganz normale Familie - doch der Glaube bestimmt jedes Detail in ihrem Alltag. Hannah und ihr jüngerer Bruder Timotheus wachsen in einem streng evangelikalen Umfeld auf. Hannah lebt ihren Glauben mit voller Hingabe, engagiert sich in der Freikirche und hat ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Als jedoch der rebellische Nachbarsjunge Max in ihr Leben tritt, gerät sie ins Wanken: Zwischen jugendlicher Sehnsucht und kirchlichen Regeln fällt es ihr zunehmend schwer, ihr Versprechen einzuhalten. Die Erwartungen ihrer Familie und die Meinungen Gleichaltriger verstärken ihre innere Zerrissenheit. Auch Timotheus steckt in einem Kampf mit sich selbst. Er hat Gefühle für seinen Freund Jonas, die in seiner religiösen Welt als schwere Sünde gelten. Um sich von diesen Gedanken zu befreien, nimmt er an einem Seminar zur "Heilung" teil. Doch die Situation wird komplizierter, als er erfährt, dass auch Jonas daran teilnimmt. Anstatt zu lernen, seine Gefühle zu unterdrücken, wird die Nähe zu Jonas für ihn noch schwieriger auszuhalten. Unter dem Druck ihrer Eltern suchen beide Geschwister zunehmend nach einem Weg, Glauben, Anerkennung und jugendliche Identität miteinander zu vereinbaren. Zwischen Loyalität zur Familie, religiösem Gehorsam und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben beginnt für Hannah und Timotheus eine schmerzhafte Suche nach Freiheit und Zugehörigkeit.
02:25
Als Tätowiererin hat Lily Lu ihren eigenen Stil geprägt, der sogenannte Kritzel-Kratzel-Stil wird inzwischen weltweit unter die Haut gemalt. Sie selbst tätowiert heute kaum noch. Ihr neuer Lebensmittelpunkt ist das "Psyland25", ein Hof an der Schweizer Grenze. Hier sind die Wände bunt, die Treppenstufen haben unterschiedliche Höhen und auch sonst ist hier alles darauf ausgelegt, möglichst weit weg der gesellschaftlichen Norm zu sein. Das Geld wird mit Pornos und YouTube-Content verdient, regelmäßig treffen sich die Bewohnerinnen und Bewohner, um sich an Haken in der Haut von der Decke zu hängen. Was bewegt Menschen dazu, immer wieder an ihre eigenen Grenzen gehen zu wollen? Und welche Lebensphilosophie liegt Lily Lus "Psyland25" zugrunde?
02:35
In "Kücük Istanbul", zu Deutsch: klein Istanbul, wie Kreuzberg auch liebevoll genannt wird, hat sich Anfang der 1990er Jahre ein Musikgenre entwickelt, das in der Türkei bis heute Wellen schlägt: türkischsprachiger Rap. Hier, in der Geburtsstätte türkischer Rapmusik trifft die seit 2016 in Deutschland lebende Soziologin und Aktivistin Tugba einen der Urväter: Killa Hakan. Er hat sich Anfang der 1990er Jahre der deutsch-türkischen Rap-Crew "Islamic Force" angeschlossen. In seinen Texten verarbeitet er neben Drogen und Gewalt vor allem den Alltagsrassismus, den er und seine Freunde in Deutschland erleben. Durch die überwiegend türkischen Texte wird seine Musik schnell in der Heimat seiner Eltern populär und prägt auch das Deutschlandbild von Tugba. Inzwischen hat sich aus Killa Hakans Vorarbeit eine neue Form von musikalischem Austausch entwickelt. Rapper wie Summer Cem haben im Herkunftsland ihrer Eltern einen neuen Markt entdeckt. Nach 20 erfolgreichen Jahren im deutschen Musikgeschäft hat sich Summer Cems Beziehung zur Türkei in den vergangenen Jahren intensiviert. Sein 2018 veröffentlichter Song "Tamam Tamam" hat inzwischen 280 Millionen Klicks auf YouTube, ein Großteil kommt aus der Türkei und im letzten Jahr war er der auf Spotify meistgestreamte Rapper in der Türkei. Die Texte datieren von 2023, dem Produktionsjahr des Programms.
02:50
Grüne Hochebenen, durchzogen von Flusstälern - das ist das Dach Afrikas: das Hochland von Abessinien im Norden Äthiopiens. Während die Nachbarländer von sengender Hitze geplagt werden, herrscht hier - auf über 2.000 Metern Höhe - ein mildes Klima, und Afrika erscheint wie das gelobte Land. Nicht von ungefähr beschreiben Reisende und Pilger Äthiopien seit jeher als das biblische Land, in dem Milch und Honig fließen. Der Honig stammt von der Ostafrikanischen Bergbiene - Apis mellifera monticola. Das Christentum hat in Äthiopien eine lange Geschichte - und mit ihm die Bienen, die sich in den teils jahrhundertealten Kirchen eingenistet haben. Für die Gläubigen gelten sie als Boten des Herrn. So auch für Aby Tadesse, dessen Leben eng mit den Bienen verbunden ist. Aby besitzt rund 30 Bienenstöcke - einfache Konstruktionen aus Stroh, Lehm und Rinderdung, um die er sich hingebungsvoll kümmert. Die Bienen schenken den Menschen Honig und Wachs. Doch hier, im Hochland von Abessinien, erfüllen sie noch eine weitaus wichtigere Aufgabe: Die Menschen glauben, sie seien eine Art Schutzengel, die den Teufel vertreiben. Und sie wissen, dass ihr Honig heilende Wirkung bei bestimmten Krankheiten entfalten kann. Die Honigernte gleicht daher einer religiösen Zeremonie.
03:15
03:20
Fotos können unser Weltbild beeinflussen. Und jedes Foto hat eine Entstehungsgeschichte. Das Magazin "Mit offenen Augen" ordnet Bilder ein und erklärt Hintergründe. Moderatorin Sonia Devillers liefert faszinierende Aufschlüsse, die über den ersten Blick hinausgehen.
03:35
Das Kulturmagazin des Senders ARTE wird täglich aus Paris gesendet. Aktuelle Themen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft stehen im Zentrum der Sendung und werden versiert unter die Lupe genommen.