1927 schrieb Stefan Zweig, "immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt". Ganz ähnlich sieht das offenbar Til Schweiger, der den guten, alten Tatort - oder das, was davon bei Schweiger nach Helene Fischer und den Leichenrekorden noch übrig ist - am morgigen Donnerstag nach Jahrzehnten müßiger Fernsehstunden ein weiteres Mal ins Kino jagen wird.
Quelle: Warner
Der letzte Tatort-Kommissar, der im Kino ermitteln durfte, war 1985 der von Götz George so unvergesslich dargestellte Horst Schimanski, der mit Zahn um Zahn immerhin zweieinhalb Millionen Tatort-Fans in die Lichtspielhäuser locken konnte. Nicht nur für damalige Verhältnisse war das ein Riesenerfolg, der 1987 in Zabou allerdings nicht wiederholt werden konnte. Die logische Folge war, das Modell "Tatort im Kino" auf dem Dachboden der Fernsehgeschichte einzulagern.
30 Jahre später haben Craft-Versteher Schweiger und sein Regisseur Christian Alvart es dort wiederentdeckt und es mit jeder Menge Wumms versehen gekonnt zwischen allen Stühlen platziert: Mit ihrem "TSCHILLER: OFF DUTY" genannten Werk - die Großschreibung ist offenbar als Geschrei zu interpretieren, um sich über die Wucht der Explosionen verständlich zu machen - knüpfen der "Filmemacher/Schauspieler/Produzent/Writer/Cutter/Composer" und sein Erfüllungsgehilfe an die vier Fernsehtatorte an, in denen Schweigers Nick Tschiller den Mörder seiner Frau zur Strecke bringen will. Der befindet sich zu Beginn von OFF DUTY in Istanbul im Gewahrsam der türkischen Justiz, was Tschiller-Tochter Lenny - gespielt von Schweiger-Tochter Luna - veranlasst, ebenfalls ins alte Konstantinopel aufzubrechen, um den Mörder - man ahnt es schon - zu ermorden.
Was dann folgt ist eine für internationale Verhältnisse eine Low- und für deutsche eine High-Budget-Mischung aus Taken, Bourne und Bond, die mit für den Tatort bislang nie gekanntem Aufwand am Bosporus und in Moskau entstand und sich, und das ist das erste Problem von Schweigers und Alvarts Werk, gleichzeitig als Abschluss der Fernsehtatorte und als eigenständige Produktion empfehlen möchte. Quereinsteiger, die einfach nur spontan erschnuppern wollen, wie sich Schweiger abseits von keinohrhasigen Liebeskomödien macht, dürften so in erster Linie verwirrt aus dem Kino kommen.
Das größere Problem von OFF DUTY ist allerdings, dass der Fokus aufs Kino im Grunde Jahre zu spät kommt: Nicht nur in den USA haben Fernsehen und Streaming-Video-Dienste längst bewiesen, dass Miniserien und durchbingegewatchte Wochenenden erzählerisch die Nase vorn haben. Selbst für gestandene Blockbuster ist der Weg ins Kino inzwischen zudem kaum mehr als ein kurzer Zwischenstopp einer Werbetour, die in Wahrheit auf Blu-ray-Verkäufe und Video-on-Demand-Downloads ausgerichtet ist. Hätte Schweiger tatsächlich deutsche Fernsehgeschichte schreiben wollen, wie er das in seinem beliebten Facebook-Rant Donald-Trump-artig vermeldete, wäre die Schaffung einer wertigen, gerne auch actionreichen und vor allem figurenzentrierten Tatort-Miniserie also der innovativere Weg gewesen.
Stattdessen bricht OFF DUTY niemandem Bahn, von Schweigers Ego vielleicht einmal abgesehen. Und doch könnte sich der Weg ins Kino lohnen, denn seien wir mal ehrlich: Wünschen wir uns nicht auch bei vielen SchleFaZen, wir hätten so viel "kompromisslosen, atemlosen, virilen" Trash mit Popcorn in der Hand und einem amüsiert verstörten Lachen auf den Lippen umgeben von staunenden Massen auf der großen Leinwand erleben können? Event-Kino muss schließlich nicht immer gut sein, um die Gemüter zu bewegen. Und selbst Stefan Zweigs Sternstunden erzählten 1927 mehrheitlich von (welt)bewegenden Niederlagen.
TSCHILLER: OFF DUTY von Christian Alvart nach einem Drehbuch von Christoph Darnstädt startet am 4. Februar in den deutschen Kinos.
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