Wir alle sind Prinzessinnen

Wir alle sind Prinzessinnen

GesellschaftsreportageF  

Der klassische französische Roman 'Die Prinzessin von Clèves' von Marie-Madeleine de La Fayette aus dem Jahr 1678 dient den Schülern der Abschlussklasse des Lycée Diderot, das in einem Problemviertel von Marseille liegt, als Ausgangspunkt, um über sich selbst, über Liebe, Gesellschaft, Religion, Ehe und Regeln des Familienlebens zu sprechen. Aufgrund der feinen psychologischen Zeichnung seiner Protagonisten gilt das Werk als erster moderner Roman der französischen Literatur. In Régis Sauders Dokumentarfilm leihen Manel, Aurore, Mona, Abou und ihre Mitschüler den Romanfiguren ihre Stimmen und ihre Gesichter. Die Lektüre des im 16. Jahrhundert spielenden Romans regt die jungen Leute - meist Nachkommen ausländischer Immigranten - dazu an, ihre eigene Existenz samt deren Widersprüchen und inneren Konflikten mit neuen Augen zu sehen. Der Dokumentarfilm zeigt ihre Zerrissenheit zwischen den Normen und Wertvorstellungen ihres Herkunftsmilieus und denen, die unter ihresgleichen in und außerhalb der Schule gelten. In ihrem Stadtviertel, im Gymnasium und im Louvre, den die Schulklasse besucht, werden die Jugendlichen mit dem tragischen Schicksal der Prinzessin von Clèves konfrontiert, die bald eine der ihren wird. Sie versetzen sich in das Leben der jungen Romanheldin hinein und fragen sich, ob sie selbst manche Entscheidungen so treffen würden wie die Prinzessin. Die Vermittlung des französischen Literaturerbes über den Schullehrplan wirft heutzutage bei manchen die Frage auf, ob es wirklich notwendig ist, dass junge Leute sich in ihrem späteren Leben einmal an eine Romanfigur, ein Gemälde oder ein Theaterstück erinnern können. Hilft ihnen das auf dem Arbeitsmarkt? Sind die alten Romane nicht völlig überholt? Der Dokumentarfilm zeigt auf überzeugende und bewegende Weise, dass die fiktiven Gestalten den Jugendlichen dabei helfen, erwachsen zu werden.

Bewertung

0,0   0 Stimmen