
Ukraina
Am Sendetag des Films jährt sich der Höhepunkt der ukrainischen «Euromaidan»-Revolution. Bei der Eskalation der Kämpfe zwischen proeuropäischen, teils auch nationalistischen Ukrainern und den Sicherheitskräften des korrupten Präsidenten Wiktor Janukowitsch kamen damals über hundert Menschen ums Leben. Es war der vermeintliche Sieg der vom Westen unterstützen Opposition.
Was im Siegestaumel unterging: Im Osten des Landes, vor allem in der Donbas-Region, sahen viele Menschen in all dem nicht eine gerechte Revolution, sondern einen verfassungswidrigen Umsturz. Wohl kaum jemand rechnete mit der heftigen Reaktion des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser liess kurz danach die ukrainische Halbinsel Krim besetzen und heizte im Frühling 2014 den Konflikt in der Ostukraine an - mit einer Medienpropaganda, aber wohl auch mit Geld, Waffen und Kämpfern. Das Resultat ist ein bewaffneter innerukrainischer Konflikt aber auch ein unerklärter Krieg zwischen der Ukraine und Russland, mit weit über 5000 Toten und Hunderttausenden von Vertriebenen.
Der Film «Ukraina - Risse im Land der Hoffnung» ist ein Film über Menschen, die sich in dieser einmaligen und schwierigen Situation im Lande zurechtfinden müssen. Es ist ein Zeugnis über die tiefen Risse, die in der Ukraine entstehen, aber auch darüber, dass ein solch blutiger Konflikt nie hätte beginnen müssen. Denn die Ukraine wäre eigentlich für eine erfolgreiche, marktwirtschaftliche und demokratische Entwicklung bereit gewesen. Viele Menschen im Land haben genug von der Korruption, der Herrschaft der Oligarchen und der Ungerechtigkeit. Und sie sind bereit, für eine bessere Zukunft einen gemeinsamen Kampf zu führen.
Im Rahmen dieser Aufbruchsstimmung kam vor drei Jahren der Emmentaler Urs Thomann in die Ukraine. Eingeladen vom damaligen Bürgermeister von Winniza, der inzwischen als Parlamentspräsident ein Shootingstar der ukrainischen Politik ist. Der Bürgermeister hatte nicht nur alte Zürcher Trämli in seine Stadt gebracht, er wollte aus ihr eine europäische, lebenswerte Vorzeigestadt schaffen. Als Berater für die Stadtentwicklung engagierte er den russlanderfahrenen Urs Thomann. Thomann würden jetzt eigentlich auch Aufträge in anderen ukrainischen Städten winken, zum Beispiel in Slowjansk, in der Ostukraine, die Monate lang Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen war. Aber wegen der Wirtschaftsmisere im Land ist die ukrainische Zukunft Thomanns und seiner Familie ungewiss.
Das Filmteam begleitet Oleksij aus der Stadt Nowowolynsk, im äussersten Westen der Ukraine, nahe der polnischen Grenze. Der Nationalist, Kleinunternehmer und Vater von zwei Töchtern stand bis zum Schluss auf dem Maidan, ein Freund von ihm starb dort im Kugelhagel. Seither kämpft Oleksij in verschiedenen Freiwilligenbataillonen in der Ostukraine. Er kehrt aber immer wieder ins zivile Leben zurück - unter anderem war er Kandidat für die Parlamentswahlen im November. Oleksij stellt sich - wie Millionen ukrainischer Männer und Frauen - immer wieder die Frage: in den Krieg ziehen oder daheim bei Familie und Arbeit bleiben.
Anastasia ist eine alleinerziehende Mutter in Donezk. Nach dem Beginn des Konfliktes im Frühling hat sie - aus Sorge um ihren sechsjährigen Sohn - die umkämpfte Stadt verlassen. Auf der Suche nach einem stabileren Leben war sie zuerst in Russland und danach in der ukrainisch kontrollierten Stadt Charkow - erfolglos. Inzwischen ist sie wieder in Donezk und arbeitet aktiv daran mit, der neuen «Volksrepublik Donezk» - in Kiew als Terrororganisation gebrandmarkt - zum Durchbruch zu verhelfen. Ist das die richtige Wahl für sie und ihren Sohn?
«DOK»-Autor Christof Franzen ermöglicht einen tiefen Einblick ins Umfeld dieser Menschen und in den ukrainischen Alltag. Er war an den Frontabschnitten im Donbas, in idyllischen Bauerndörfern der Westukraine und im Kiewer Machtzentrum. Sein Film zeigt, dass die Ukraine historisch, kulturell und soziale tief gespalten ist.