Tartuffe

Tartuffe

Stéphane Braunschweig wagt sich gerne an große Theaterklassiker heran, aus denen er herauskristallisiert, was er als den 'unterschwelligen Roman' bezeichnet. Er durchleuchtet den Text, verleiht den darin gestellten Fragen neue Aktualität. Seiner Interpretation des 'Tartuffe' ging folgender Gedankengang voraus: Tartuffe, ein Heuchler und Betrüger, nistet sich in dem Haus des reichen Orgon ein. Dieser verfällt dem scheinheiligen Zeitgenossen. Das ist bekannt. Aber wie ist der große Einfluss Tartuffes auf sein Hauptopfer, den Familienvater Orgon, zu erklären? Denn wäre Tartufffe wirklich ein großer Betrüger, würde ihm das ganze Haus aufsitzen, nicht nur das Familienoberhaupt. Wenn aber seine bigotte Maske nicht überzeugend genug ist, würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass nicht einmal Orgon ihm glauben dürfte. Daher die Frage: Warum lässt sich ausgerechnet Orgon vom Treiben seines Gasts hinters Licht führen? Den Orgon, in dessen Leben sich Persönliches, Familiengeschichte und Politik kreuzen, spielt Braunschweigs Lieblingsdarsteller Claude Duparfait, der in seiner Inszenierung des 'Misanthropen' bereits die Rolle des Alceste übernommen hatte. Von seiner Premiere in Straßburg bis zur Wiederaufnahme im Pariser Théâtre de l'Odéon im Herbst 2008 fand Braunschweigs Inszenierung des 'Tartuffe' sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum durchweg großen Anklang. Sie besticht durch Klarheit, Scharfsinn, Stimmigkeit und ein kompromisslos modernes Bühnenbild. Wieder einmal bewähren sich Kraft und Zeitlosigkeit von Molieres Text, der zu den tragenden Säulen des klassischen französischen Theaterrepertoires zählt.

Bewertung

0,0   0 Stimmen