StadtGebete

StadtGebete

Religiöse Bewegungen und Organisationen sind über Kontinente hinweg verbunden, sie treten als politische Akteure auf und können sogar häufig die Rolle des Staates ersetzen. Lange Zeit galt die Stadt als weitgehend religionsfreier Raum. Die Moderne, so dachte man, führe zwangsläufig zu einem Bedeutungsverlust von Religion. Doch diese Annahme ist nicht länger haltbar. In der Stadt wird die Religion heute neu erfunden. Gläubig zu sein ist nicht mehr altmodisch, hinterwäldlerisch und konservativ. Gläubig zu sein ist heute hip, sonntags in die Kirche, die Moschee oder den Tempel zu gehen, gehört zum Standardprogramm dessen, was Großstädter auch tun können, wenn sie wollen. Vor allem die Mittelklasse - Akademiker ebenso wie Freiberufler und Kreative - strömt in die neuen Kirchen. Dabei verändert sich beides: die Stadt und die Religion. In Lagos, Nigeria, bietet die größte Kirche fünf Mal mehr Platz als das größte Fußballstadion der Welt. Sie steht im 'Redemption Camp', dem 'Camp der Erlösung', eine Stadt Gottes, die Nigerias größte Pfingstkirche nach dem Vorbild des Vatikan in der Peripherie Lagos' entstehen lässt. Heute zählt sie bereits 25.000 Bewohner. Basaksehir ist eine moderne Wohnsiedlung am Rande Istanbuls. 55.000 Menschen leben hier, Tendenz steigend. Die Bewohner Basaksehirs gehören zum größten Teil der streng religiösen Mittelklasse an. Sie ziehen nach Basaksehir, um unter sich zu sein, in einem Umfeld, in dem die Gebote des Korans befolgt werden, das aber zugleich auch modernen Lebensstil ermöglicht. Religiöse und moderne, urbane Lebensformen verbinden sich zu etwas Neuem. Für viele ist das die Zukunft des Islam in der Türkei. 'Welthauptstadt des Atheismus', so bezeichnete ein bekannter Religionssoziologe Berlin noch vor wenigen Jahren. Heute gibt es hier mehr als 250 religiöse Gemeinschaften, und sie feiern Gottesdienste an den hipsten Orten der Stadt: im Programm-Kino, im Coworking-Space, selbst im Szene-Nachtclub.

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