Sex im Sozialismus

Sex im Sozialismus

Als der Leipziger Soziologe und Sexualwissenschaftler Kurt Starke 1980 seine Studienergebnisse zum Sexualleben der Ostdeutschen vorlegte, rieben sich seine Kollegen im Westen verwundert die Augen. Die Diktatur schien der Libido keineswegs abträglich. Im Gegenteil. Die Gruppe der sexuell Aktiven, die mehr als viermal pro Woche mit ihren Partnern verkehren, war mit 38 Prozent in der provinziellen DDR genau doppelt so hoch wie im Westen. Und nicht nur die Beischlafhäufigkeit, auch die erotische Experimentierfreude schien ungleich ausgebildet. Immerhin hatten bereits 1972 bei einer repräsentativen, aber nie veröffentlichten Umfrage unter Leipziger Studenten fast sieben Prozent zu Protokoll gegeben, sie hätten schon an Partys teilgenommen, auf denen Sexpartner getauscht wurden

Stimmt, was Sexualforscher vermuten? Dass der Ostler im Bett schneller zu befriedigen war, weil er kaum mehr als ein paar 0815-Stellungen kannte und keine Sex-Industrie ihm seine eigene Unzulänglichkeit vor Augen führte? Lag es an der anderen, im Vergleich zum Westen sehr viel selbständigeren und selbstbewussteren Rolle der Frau? Hing es mit der generell zu beobachtenden Tendenz zu Nischenbildung und Intensivierung des Privatlebens in der vom sozialistischen Gesellschaftsentwurf enttäuschten DDR-Bevölkerung zusammen? Spielte das weitgehende Fehlen kirchlicher Sexualmoral eine entscheidende Rolle? Oder lag es an der kostenlosen Pille, den legalen Abtreibungsmöglichkeiten und den unkomplizierten Scheidungen?

Zum Verständnis hilft nur ein Blick in die Geschichte. Schließlich war bis 1945 in beiden Teilen Deutschlands in dieser Hinsicht alles gleich. Doch bereits in den frühen 50ern entwickelten sich die beiden Staaten auseinander. Die gesellschaftliche Stellung der Frauen, die christdemokratischen Moralvorstellungen, die Orientierung der Jugend - ein spannender Bogen deutsch-deutscher Geschichte, der in ausgewählten Lenin-Zitaten als Beleg für die Lustfreundlichkeit des Marxismus seine ersten Höhepunkte feierte.

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