Rechtlos und ausgeliefert?

Rechtlos und ausgeliefert?

GesellschaftsreportageD  

'Elfriede S. wollte die Kanarienvögel auf der Station mit der Schere töten', schreibt der Psychiater. Ein Hauptargument für ihn, beim Vormundschaftsgericht die Unterbringung der Altenheimbewohnerin auf einer geschlossenen Pflegestation zu beantragen. Die 89-Jährige war nach einem Schlaganfall dement. 'Außerdem', schreibt der Psychiater, sei die Bewohnerin 'verwirrt und weglaufgefährdet.' Er verschreibt ein Neuroleptikum, im Fachjargon eine chemische Fixierung. Damit wird Elfriede S. ruhiggestellt. Die Tochter wird nicht um ihr Einverständnis gebeten, obwohl sie eine Vorsorgevollmacht besitzt und damit über alles, was ihre demente Mutter betrifft, aufgeklärt werden muss. Sie erstattet Anzeige wegen Körperverletzung. Über 50 Prozent der dementen Menschen in Pflegeheimen werden mit einem Cocktail aus Neuroleptika und anderen Psychopharmaka behandelt, obwohl diese gerade bei alten Menschen schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die europäische und auch die deutsche Arzneimittelbehörde warnen vor dem unbedachten Einsatz dieser Mittel. Vergeblich. Dabei gibt es durchaus hoffnungsvolle Initiativen. In innovativen Pflegeheimen und Wohngemeinschaften können Demenzkranke ein menschenwürdiges, zufriedeneres Leben führen. Doch sie sind bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei ist diese Art, Demenzpatienten zu behandeln, keineswegs teurer. Demenz: Ein drängendes Thema in einer Gesellschaft, in der immer mehr alte Menschen leben. 1,2 Millionen Demenzbetroffene soll es mittlerweile in Deutschland geben. Zwei Jahrzehnte medikamentöser Demenzforschung haben wenig Erfolg gebracht. Jetzt setzen Forscher auf eine Impfung gegen Alzheimer, die bei Menschen angewendet werden soll, die erste Symptome zeigen. Ein Hoffnungsschimmer? Vielleicht. Der Schwerpunkt allerdings sollte nach Meinung vieler Fachleute auf jenen nichtmedikamentösen Behandlungsmöglichkeiten liegen, die auf die Bedürfnisse dementer Menschen eingehen. Mit Teilhabe und Kommunikation, Bewegung, Wahrnehmungstraining und viel Zuwendung.

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