Moskau lässt die Puppen tanzen

Moskau lässt die Puppen tanzen

StädteporträtD  

Moskau vergisst siebzig graue Jahre und will alles und zwar sofort. Graues Häusermeer, Servicewüste - das war gestern. Heute kann man hier um 03:00 Uhr morgens einkaufen, um 04:00 Uhr dinieren, sich um 05.00 Uhr die Haare schneiden lassen. Jeder hat eine Idee, wie sich irgendwie Geld verdienen lässt. Hinter hohen Zäunen leben die Businessmen, die Superreichen schwer bewacht und genießen das Leben mit einer Mischung aus Größenwahn und Gier. Sie leben, als sei Sparen eine Schande. Wer nicht mithalten kann, ist auf Mitleid angewiesen. Babuschkas trifft es vor allem. Sie kämpfen in einer der teuersten Städte der Welt ums Überleben. Das GUM, früher das Staatliche Universalkaufhaus, ist heute eine hippe Einkaufspassage. Früher bekam man dort aus dem Textilkombinat 'Die Bolschewikin' graue Sackkleider in Übergrößen, Filzstiefel und Süßigkeiten der Schokoladenfabrik 'Roter Oktober'. Inzwischen schweben Moskauerinnen auf atemberaubenden Absätzen durch die Stadt, haben sich hier Gucci und Pucci, Schweizer Uhrenfirmen und amerikanische Nobelmarken einquartiert. Dabei wissen Moskowiter aber: Der Zar ist nicht weit, und dem darf man nicht in die Suppe spucken. Wer Geschäfte machen will, muss sich aus der Politik heraushalten. Jeden Abend und Morgen stehen Moskauer ergeben im Stau, denn der Zar braust auf einem Mittelstreifen vorbei, der schon zu Zeiten des realen Sozialismus für die Nomenklatura reserviert war. Das hat sich nicht geändert. Und dass nur wenige aufmucken, auch nicht. Moskau ist anstrengend, wild und unberechenbar. Im Mittelalter war die Stadt fast 200 Jahre lang mongolischen Eroberern tributpflichtig. Manche wissen bis heute nicht genau, ob man hier schon in Asien ist oder doch noch in Europa. Eine Mischung eben aus Grausen und Entzücken. Moskau ist im Kreis der Weltstädte angekommen ...

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