Menschen hautnah: Weil wir die Töchter sind

Menschen hautnah: Weil wir die Töchter sind

'Ich hab mir am Anfang schon leichtere Vorstellungen gemacht, als sie jetzt tatsächlich sind.' Christine ist Mutter zweier Kinder und voll berufstätig, als ihr Vater zum Pflegefall wird. 'Ich dachte, dann gehen wir mit Papa im Rollstuhl spazieren, er kommt mit in unseren Schrebergarten, das macht ihm Spaß und dann machen wir zusammen mit den Kindern Musik- ich hab mir alles so vorgestellt, wie es jetzt natürlich nicht ist.' Christine hat ihren Vater nach einem schweren Schlaganfall zu sich genommen. Damit gehört sie zu rund 10 Millionen Deutschen, die einen Pflegefall in der Familie haben. In den nächsten Jahren werden es geschätzt 27 Millionen sein. Als voll berufstätige Frau ist Christine den Spagat zwischen Job und Kinderbetreuung gewohnt. Doch was passiert mit ihrem Leben, wenn nun noch ein Pflegefall dazu kommt? Die Geschäftsfrau Verena hat vor neun Jahren ihre Mutter bei sich aufgenommen; ihre Kinder waren damals vier und sieben Jahre alt. 'Sie hat sich ganz in meine Hände gegeben, so kannte ich meine Mutter gar nicht.' Die Mutter wurde zunehmend pflegebedürftig, entwickelte eine Demenz. Verenas Ehemann hat die Familie verlassen, seitdem ist sie mit Mutter und Kindern allein. Oft müssen die Kinder zugunsten der Oma zurückstehen, und auch der Beruf tritt notgedrungen in den Hintergrund: 'Ich fühle mich nur noch als Versorgungsmaschine.' Inzwischen will sie wieder mehr an sich selber denken - und holt sich Hilfe von außen. Die beiden gehören zur ersten Generation von Frauen, die neben ihrer Rolle in der Familie auch voll berufstätig sind. Wenn in ganz Europa die Zahl der Pflegebedürftigen ansteigt - kann die Gesellschaft weiterhin auf die Hilfe der Töchter zählen? 'Wir machen das, weil wir die Töchter sind', sagt Verena, 'weil wir nicht anders können'. Wie lange wird das noch gut gehen? Flexibilität und ständige Verfügbarkeit, wie sie heute im Beruf erwartet werden, lassen sich schon schwer mit der Kindererziehung vereinbaren - und noch weniger mit den Anforderungen an die Pflege alter Menschen, die viel Geduld und Zeit erfordert. Die Autorinnen Ilona Kalmbach und Sabine Jainski haben die beiden Frauen und ihre Familien ein halbes Jahr lang durch Höhen und Tiefen begleitet - zwischen dem Glück, die Eltern bei sich zu wissen, und dem schlechten Gewissen, es niemals allen recht machen zu können.

Bewertung

0,0   0 Stimmen