Keinen Tropfen mehr

Keinen Tropfen mehr

'Brauchst du heute nicht die kleinen grünen Flaschen?', fragt der dreijährige Manuel seine Mutter Carmen, als sie an der Kasse im Supermarkt stehen. 'Nein, die brauche ich nicht, das ist vorbei.' Neun Jahre ist das her. Seither trinkt Carmen (42) keinen Alkohol mehr. Carmen hatte eine schwierige Kindheit. Weil ihre Eltern alkoholkrank waren, wuchs das kleine Mädchen in einer Pflegefamilie auf. Auch Carmens Mann, der Vater von Manuel, war Alkoholiker. Er starb vor fünf Jahren nach einem Faschingsumzug - im Rausch. Herzversagen. Als das Jugendamt damals drohte, ihr ihren Sohn Manuel wegzunehmen, fasste Carmen einen Entschluss. 'Ich habe einen kleinen Jungen. Ich habe Verantwortung. Ich will ohne Alkohol leben!' Sie schaffte die radikale Wende. Aber sie weiß, jeder Tag ist ein Tag, an dem sie rückfällig werden könnte. Ihre positive Lebenseinstellung hilft ihr, 'trocken' zu bleiben, auch wenn ihr Leben nicht einfach ist. Sie ist alleinerziehend und hat wenig Geld. Das Essen für sich und Manuel holt sie sich bei der 'Tafel' und freut sich über gebrauchte Möbel von Freunden. 'Ich gehe mit dem Thema Alkohol offen um. Wir haben es schwer genug, und ich will mir nicht immer Lügen ausdenken müssen. Auch mit meinem Sohn rede ich darüber. Er soll wissen, was Alkohol anrichten kann. Und besser, er erfährt es von mir, als von anderen Menschen.' Im Januar erleidet Dietrich (46) einen Rückfall. Er trinkt vier Tage lang. 'Das ist für einen Rückfall kurz', tröstet er sich. Darüber zu sprechen, ist nicht einfach. Trotzdem will Dietrich erklären, wie es ist, wenn sie langsam in einem hoch kriecht - die Sucht. Mit 14 Jahren fing er mit dem Alkohol an. Dietrich trank nicht nur in Gesellschaft, sondern auch, wenn er allein war. Dann stellte er die Musik laut und träumte sich in eine andere Welt. Alles andere wurde ihm gleichgültig. Irgendwann ging es nicht mehr, er verlor seinen Job und seine Familie. Mit Hilfe von unterschiedlichen Therapien schaffte er es zurück in ein fast normales Leben. Mittlerweile hat Dietrich wieder Arbeit in München gefunden. Auch wenn er nicht mehr in seinem alten Beruf als Bürokaufmann arbeiten kann, ist sein Job doch ein Halt für ihn. Noch immer ist sein Leben ein ständiger Kampf mit der Sucht. Auch wenn Alkoholismus als Krankheit anerkannt ist, gelten Alkoholiker oft als charakterschwache Menschen, die selbst schuld an ihrem Elend sind. Noch immer ist diese Sucht ein Tabu in einer Gesellschaft, in der es fast in jeder Familie Betroffene gibt. '37°'-Autorin Maike Conway begleitet Carmen und Dietrich in ihrem Alltag. Die beiden Protagonisten erzählen, wie sie den Kampf gegen den Alkohol immer wieder zu gewinnen suchen. Wie reagieren Kollegen, Freunde und Verwandte auf ihre Krankheit?

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