Idil Baydar als Jilet Ayse: Deutschland, wir müssen reden!

Idil Baydar als Jilet Ayse: Deutschland, wir müssen reden!

Jilet Ayse ist ein Integrations-Albtraum. Die "Ghettobraut aus Berlin" ist mindestens so laut wie sie aussieht, trägt furchtbare Klamotten und hält Gleichberechtigung für überbewertet.
Jilet Ayse ist natürlich nur ein Trick: Hinter der Kunstfigur steckt Idil Baydar, Tochter türkischer Einwanderer, ehemalige Waldorfschülerin mit Abitur und Soziologie-Studium. Bleibt die Frage: Wann bekommt sie endlich ihre Urkunde für erfolgreiche Integration?

Und wer sitzt dafür eigentlich in der Jury? Ist es "dieser Deutschland", von dem alle reden? Mangels eigener Antworten lässt Idil Baydar lieber ihre integrationsunwillige Schwester Jilet Ayse sprechen, die zwar schwer mit der Deutschen Sprache kämpft, aber genau die richtigen Fragen stellt. Laut, schräg, komisch und viel klüger, als sich mancher wünschen würde.
Die Biografien von Künstlerin Idil Baydar und ihres Alter Egos Jilet Ayse haben keine Gemeinsamkeiten - außer vielleicht den türkischen Namen. Die Türkin Jilet Ayse lebt in Berlin von Hartz IV, ist um die 18 Jahre alt und der typische Albtraum jeder Integrationsbeauftragen. Idil Baydar dagegen ist Deutsche und wächst in Celle auf. Geht zur Waldorfschule, liest Goethe, später studiert sie. Erst als sie nach Berlin zieht, wird sie zur Türkin. Zu jemandem, der anscheinend hier nicht hin gehört. Als dann Thilo Sarrazin seine Thesen über Migranten in die Welt setzt, erfindet Baydar als Reaktion darauf die Klischee-Kanakin Jilet Ayse. Sie ist ein Kombinat aller Vorurteile und angedichteter Eigenschaften einer türkischen Jugendlichen aus Berlin - und dabei unglaublich komisch.
Die Misere der Jilet Ayse beginnt, als sie in einer Zeitschrift liest, "Deutschland stirbt aus". Zwar gönnt sie sich einen kurzen Moment der Freude, aber dann wird ihr klar: Moment mal, dann sind ja nur noch wir da? Wer zahlt dann mein Hartz IV? Nein, das muss verhindert werden - und so findet Jilet, dass sie mit Deutschland mal reden muss. Sie gibt Tipps, wie die Deutschen ihre Defizite im Bereich "Vermehrung" verbessern können. Das reicht von Anmach-Arten über Beziehungstipps bis zur Kindererziehung. Jilet macht sich Sorgen um Deutschland und spricht diese in astreinem Kanaken-Deutsch aus. Das ist sehr lustig, aber noch viel mehr als das.
Wer sich vom Lachanfall erstmal wieder erholt hat, merkt schnell, wie sehr diese laute Göre uns den Spiegel vorzuhalten vermag. Ausgerechnet so ein Mängelexemplar, jemand der uns nicht gut genug ist, erkennt die Unzulänglichkeiten unserer Gesellschaft so glasklar? Jilet meint es eben gut mit uns, und man kann sie eigentlich auch nur mögen. Doch je länger sie spricht, desto größer wird auch die Bewunderung für diese kluge und talentierte Frau dahinter, Idil Baydar. Mit dieser einzigartigen Figur schafft sie eine perfekte Balance aus herzhaftem Witz und nachdenklicher Kritik, eine Sozialsatire, die einem noch lange im Kopf bleibt.

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