Heilen wie am Fließband

Heilen wie am Fließband

Jeder hat es wohl bemerkt: Ärzte haben kaum noch Zeit. Ihr Blick richtet sich gezwungenermaßen mehr auf den Computerbildschirm als auf den Patienten, denn dort findet er die Koordinaten seines Handelns: Diagnose- und Therapiestandards wie auch Kostenvorgaben. In den durchorganisierten Praxen reduziert sich der Kontakt zwischen Arzt und Patient auf ein Minimum. Gleichzeitig wird in Europa so viel operiert wie noch nie. Spitzenreiter ist Deutschland mit fast 20 Millionen Eingriffen, die jährlich 290 Milliarden Euro verschlingen. Wie in Frankreich machen die Gesundheitskosten zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Doch ist die medizinische Behandlung damit auch besser geworden? Nach welchen Qualitätsmaßstäben soll sich das überhaupt bemessen lassen? Die ärztliche Behandlung soll sich heute in erster Linie an Erfahrungswerten orientieren, die Studien, Statistiken und Zahlen liefern. Diese sogenannte 'evidenzbasierte Medizin' hat sich seit einigen Jahren in der Praxis weitgehend durchgesetzt. Wer nicht nach den entsprechenden Leitlinien behandelt, riskiert, später verklagt zu werden. Ärzte stehen unter Druck, sind immer mehr Getriebene als Gestalter ihres verantwortungsvollen Handelns. Doch gegen diese 'Bürokratisierung der Medizin' gibt es immer lauter werdende Widerstände. Kritiker verweisen auf die persönliche Erfahrung und Intuition als wichtigen Eckpfeiler ärztlichen Handelns. Erkrankungen seien vielfach zu komplex, um sie in ein Schema zu pressen. 'Medizin ist mehr eine Kunst als eine exakte Wissenschaft,' findet zum Beispiel Professor Nicolas Levy aus Marseille, der sich der Erforschung seltener Erkrankungen verschrieben hat, die in ihrer Gesamtheit sogar häufiger vorkommen als Krebs oder Alzheimer. Die Journalistin Sonia Mikich hat am eigenen Leib erlebt, was es bedeutet, in die Mühlen des modernen Medizinbetriebes zu geraten. Sie hat diese Prozedur nur knapp überlebt. Der einzelne Kranke werde nur in den seltensten Fällen individuell betrachtet, so die Quintessenz ihres Berichts. Wer nicht ins Schema passt, hat Pech gehabt. So wie Ellen, eine schwer kranke 16-jährige Schülerin. Ihre Eltern müssen die 1.000 Euro monatlich für Medikamente selbst bezahlen, weil die Erkrankung ihrer Tochter in keines der vorgegebenen Behandlungsschemata passt. Die Dokumentation beleuchtet Geschichten und Schicksale wie diese und lässt Ärzte und Wissenschaftler zu Wort kommen, die von den Untiefen eines Systems berichten, das sich immer mehr an wirtschaftlichen Rahmenbedingungen orientiert. Der Mensch, so das Urteil der Experten, werde zunehmend diesem System angepasst, anstatt dieses an den Bedürfnissen des Kranken zu orientieren.

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