Halbgott im Tropenwald

Halbgott im Tropenwald

"Als Albert Schweitzer nach Lambarene kam, war er für uns ein Gott!", erinnert sich der westafrikanische Schauspieler Philippe Maury, der den legendären Urwalddoktor noch persönlich kannte. "Damals kamen alle Weißen, um uns den Hintern zu versohlen", erzählt er lachend. "Schweitzer war anders. Das exakte Gegenteil. Er baute uns ein Krankenhaus!"
Über 100 Jahre ist es her, dass der Arzt, Philosoph, Musiker und Pastor Albert Schweitzer seine Heimat im Elsass verließ, um im afrikanischen Lambarene ein Krankenhaus zu bauen und, wie er sagte, "die armen Neger vor den weißen Raubtieren zu schützen". Die weißen Raubtiere - das waren für ihn die Kolonialisten, die Afrika und die Afrikaner ausbeuteten.
Doch Schweitzer war selbst alles andere als ein Heiliger. Er war, so sagen seine Kritiker, ein oft jähzorniger Narziss, ein Meister der Selbstinszenierung und ein Verfechter kolonialistischer Werte. Für Schweitzer waren die Afrikaner Kinder, denen er die Zivilisation bringen musste. Er hielt nichts von afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen und befürwortete sogar die Apartheid in Südafrika.
Auch in Gabun, dem Land, in dem Schweitzer über mehrere Jahrzehnte als Arzt arbeitete, gibt es kritische Stimmen. "Schweitzer behauptete, der Weiße sei der große Bruder des Schwarzen", sagt der Wissenschaftler Noell Bertrand Boundzanga, der gerade ein Buch über den Tropendoktor veröffentlicht hat. "Die Aufgabe des Weißen sei es, dem kleinen schwarzen Bruder Hilfe zu leisten. Mitgefühl? Ja, aber ein Mitgefühl mit klarer Rassenhierarchie. Trotzdem: Schweitzer hat mit diesem Krankenhaus etwas Großartiges geschaffen."
Das Krankenhaus in Lambarene, einer kleinen Stadt im Tropenwald, steht immer noch. Heute ist es halb verstaatlicht. Zu Schweitzers Zeiten wurde jedem Kranken geholfen, ob er zahlen konnte oder nicht. Jetzt herrscht in Lambarene die Bürokratie. Und die ist nur das kleinste Problem. Das Spital ist tief verschuldet. Der Staat Gabun hat seine Zuschüsse gekürzt. Spenden aus Europa fließen nicht mehr so wie früher. Der Name Schweitzer ziehe nicht mehr, klagt Daniel Stoffel, der Präsident des Stiftungsrats, der zwischen Lambarene und seinem Heimatort im Emmental pendelt: "Nur noch die ältere Generation kennt ihn."
Dazu kommt die Korruption. Vor drei Jahren war Marc Libessart, der letzte weiße Krankenhausdirektor, Buchhaltern auf die Schliche gekommen, die Geld unterschlugen. Die afrikanische Belegschaft organisierte daraufhin einen Aufstand gegen den Direktor, der Hals über Kopf das Land verlassen musste. "Ich bin absolut sicher", sagt er heute, "dass die Korruption im Krankenhaus immer noch existiert."
Inzwischen bereuen die afrikanischen Ärzte und Krankenpfleger den Aufstand. "Die Zukunft ist dunkel", schimpft etwa die Krankenschwester Sophie Mipimbou, "wenn wir wirklich einen Wechsel wollen, dann brauchen wir wieder Weiße im Management."
Doch kann das wirklich die Lösung sein? Wäre es nicht besser, statt nach der starken Hand vermeintlich überlegener Europäer zu rufen, lieber eine eigene afrikanische Führungsriege aufzubauen, die kompetent und moralisch integer Schweitzers Arbeit fortsetzt? Uri Schneider, der für seinen Film "Halbgott im Tropenwald" sowohl historisches Filmmaterial aufarbeitete wie auch den Alltag im heutigen Lambarene dokumentierte, stellt diese Fragen.
Es gibt offensichtlich immer noch deutliche Gräben zwischen Schwarz und Weiß, die dringend überbrückt werden müssen. Selbst im wohl berühmtesten Entwicklungshilfeprojekt der Welt, in Albert Schweitzers Lambarene.

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