
Gott und Geld
Seit Kurzem bereichert der Neubau der Europäischen Zentralbank die Frankfurter Skyline. Der Doppel-Büroturm der EZB, der am 18. März 2015 feierlich eröffnet wird, ist Symbol für die europäische Finanz- und Geldpolitik. Dieser 1,3 Milliarden Euro teure Glastempel strotzt voller Selbstbewusstsein. Hier getroffene Entscheidungen können Wachstum oder Armut bedingen, Stabilität oder Inflation. Wie in der Religion sind auch beim Geld Glaube und Vertrauen unbedingte Voraussetzungen. Ohne Glaube hätte Geld keine Geltung. Schwindet der Glaube in eine Währung und in ihre Kaufkraft, so sinkt der Wert des Geldes. Eine leidvolle Erfahrung, die gerade der Euro machen muss. Ohne Vertrauen läuft nichts auf den Finanzmärkten - kein Kredit, kein Kapital, keine Investition. Ob man von Schulden, von Gläubigern, von Werten spricht - bis in die Sprache hinein sind Religion und Geldwirtschaft einander näher als vermutet. Und auch Bankgebäude sprechen ihre ganz eigene architektonische Sprache - es sind wahre Tempel des Geldes. Floriert die Wirtschaft, so schießen diese Tempel des Geldes höher und glanzvoller in den Himmel. Während die Religionen mit dem Seelenheil im Jenseits locken, verheißt der Glaube an das Geld das Paradies auf Erden. Geld wird zur Ersatzreligion. Längst hat in vielen Ländern das Primat der Wirtschaft die Politik abgelöst, mit verheerenden Folgen. So besitzen die Reichsten dieser Welt, ein Prozent, mehr Güter und Kapital als 99 Prozent der Weltbevölkerung. Doch Mahner und Kritiker stehen auf verlorenem Posten. Eine Alternative zu unserem Wirtschaftssystem könne es in der globalisierten Welt nicht geben, heißt es. Anlässlich der Eröffnung der Europäischen Zentralbank stellt "Horizonte" die Frage nach "Gott und Geld". Ist ein Ketzer und Träumer, wer sich dem Diktat der Ökonomie entzieht? Ist es heutzutage überhaupt möglich, ethisch verantwortlich zu wirtschaften und dabei Gewinne zu erzielen? Und was hat der Kapitalismus mit dem christlichen Glauben gemein?