Gladbeck - Dokument einer Geiselnahme

Gladbeck - Dokument einer Geiselnahme

16. August 1988. Zwei Gangster, Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski, haben in Gladbeck eine Bank überfallen, zwei Geiseln genommen, 300 000 Mark Lösegeld und einen Fluchtwagen gefordert. Sie geben von der Bank aus per Telefon Hörfunkinterviews und drohen, die Geiseln zu erschießen. Draußen stehen Fernsehteams und berichteten live. Ein Verbrechen wird am Bildschirm verfolgt, während es geschieht. Drei Tage lang wird die Republik das Drama wie gebannt verfolgen, den Geiselnehmern und ihren Opfern von Gladbeck über Bremen und die Niederlande nach Köln auf den Fersen sein. Reality TV. Eine Grenzüberschreitung, die es noch nie gegeben hat. Die Polizei ist ratlos, agiert chaotisch. Sie lässt Reporter, Fotografen und Kameraleute gewähren und schafft es selbst nicht, mit den Geiselnehmern Kontakt zu halten. Die Polizei schaut zu, wie die Geiselnehmer eine Show abziehen, die Knarre im Schoß, sich wichtig tun. Wie sie Fernsehinterviews geben und behaupten, ihr eigenes Leben sei ihnen scheißegal und wenn sie andere Menschen mit in den Tod rissen, könne man da eben nichts machen. Als die Polizei merkt, dass die Journalisten ihnen schließlich überall im Wege sind, ist es zu spät. In Bremen sorgen die Kidnapper für Panik, kapern einen mit 30 Personen besetzten Bus. Sie wollen die Geiseln austauschen, gegen einen Kripobeamten. Die Polizei lehnt ab. Nach einer abenteuerlichen Flucht in die Niederlande stehen sie schließlich mit einem neuen Fluchtwagen und noch zwei Geiseln in der Kölner Innenstadt und prahlen gegenüber den Journalisten, sie hätten einen Jungen 'umgelegt'. Es war der fünfzehnjährige Emanuele, der seine kleine Schwester schützen wollte. Dann versuchen sie, über die Autobahn zu entkommen. Und als das Sondereinsatzkommando der Polizei den Fluchtwagen auf der Autobahn rammt, stirbt die achtzehnjährige Silke Bischof. Die Obduktion ergibt, dass die junge Frau durch eine Kugel aus Rösners Pistole getroffen wurde. Am Ende herrscht Ratlosigkeit, Trauer und Wut. Die Polizei hat kläglich versagt. Und die Medien? Die Kripo behauptet, die Journalisten hätten die Polizei bei ihrer Arbeit behindert. Doch warum hat sie die Medien nicht zurückgepfiffen? Die WDR-Dokumentation wurde realisiert nach einer Absprache mit der Mutter Silke Bischoffs. Sie leidet heute wie am ersten Tag unter dem tragischen Tod ihrer Tochter. Ein Tod, der so früh, so sinnlos, so absurd war. Sie wollte, dass der Name und die Aufnahmen von ihrer Tochter nie mehr veröffentlicht werden dürfen. Doch es gelang dem WDR, sie davon zu überzeugen, die bedrückende Geschichte der Geiselnahme, die Silke das Leben kostete, noch ein letztes Mal zu dokumentieren. Das Geschehen noch einmal zu beleuchten und zu hinterfragen, damit sich so etwas nie wiederholt. Am Ende hatte das Geiseldrama und Silkes Tod die Republik verändert, wachgerüttelt. Viele der Aufnahmen lagerten seit dem August 1988 in den Archiven, nie gesendet, weil direkt nach dem tödlichen Ausgang eine selbstkritische Diskussion in den Rundfunkanstalten und Verlagshäusern darüber entbrannte, wie weit in Bild und Ton man gehen darf, wenn über ein Verbrechen informiert werden soll. Die Fülle des dokumentarischen Materials belegt, wie hilflos die Polizei in Bremen und Köln war. Wie sehr sie sich vor ihrer Verantwortung gegenüber den Geiseln gedrückt hat.

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