Gestohlene Kinder - Die Deportation ukrainischer Kinder nach Russland
SRF1 16.02., 22:40 - 23:45 Uhr«Wir mussten ausschliesslich Russisch sprechen. Alles, was mit der Ukraine zu tun hatte, war verboten. Wer dagegen verstiess, wurde bestraft», so beschreibt Yana, ein Mädchen aus der südukrainischen Stadt Cherson, was sie an jenem Ort erlebte, den sie und ihre Familie für ein Ferienlager hielten. Mehrere Monate verbrachten Yana, ihre ältere Schwester Diana und der kleinere Bruder Nikita auf der von Russland besetzen Halbinsel Krim. Allein habe sie sich gefühlt in dieser Zeit, erzählt Diana: «Vor allem, als sie anfingen, über Adoptionen zu sprechen und russische Dokumente für uns ausgestellt werden sollten.»
Wie Diana, Yana und Nikita soll es tausenden Kindern ergangen sein, sagen die ukrainischen Behörden: Sie wurden mit falschen Versprechungen in die von Russland besetzen Gebiete gelockt oder von Soldaten entführt. Ein Vorwurf, den die russische Seite vehement bestreitet. An vorderster Front: Maria Lvova-Belova, die russische Kinderrechtsbeauftragte. Sie hat für den Dokumentarfilm «Gestohlene Kinder» einem Interview zugestimmt und verteidigt das russische Vorgehen: Es gehe einzig um das Wohl der Kinder. Russland bemühe sich darum, dort, wo sich ein Kontakt zu Verwandten herstellen lasse, Familienzusammenführungen zu ermöglichen. In den Vorwürfen, die gegen dieses System und sie als Person erhoben werden, sieht Lvova-Belova eine «Dämonisierung» des russischen Staates durch die Ukraine und den Westen.
Doch nicht nur die ukrainische Regierung übt scharfe Kritik: Im März 2023 erliess der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen Lvova-Belvova und Präsident Vladimir Putin - wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen.
Der Film ist ein Zeitdokument, das ein vielschichtiges Bild der Geschehnisse zeichnet: Sowohl ukrainische wie russische Stimmen kommen zu Wort; Kinder, die von ihren Erfahrungen berichten, Mütter, die alles daransetzen, ihre Söhne und Töchter zu sich nach Hause zu holen, sowie Anwältinnen und NGO-Mitarbeiter, die sie tatkräftig dabei unterstützen. Und er macht deutlich, welche Macht die russische Propaganda hat: So gibt es immer wieder Kinder, die sagen, dass sie lieber in Russland bleiben wollen - etwa weil sie Angst haben, in ihrer Heimat als Landesverräter angesehen zu werden. Oder der 17-jährige Filipp, der aus dem zerbombten Mariupol nach Moskau gebracht und von Maria Lvova-Belova persönlich als Pflegesohn aufgenommen wurde: «Es gab eine Zeit, in der ich mich fragte, ob ich in die Ukraine zurückkehren sollte», sagt er im Gespräch mit Filmemacherin Shahida Tulaganova. «Doch dann versuchte ich, diese Gedanken abzuschütteln. Ich wollte nicht mehr wissen, was genau dort vor sich ging, um mich nicht mehr so deprimiert und schlecht zu fühlen. Ich baute mir quasi eine Mauer auf - und entschied mich, dass es besser ist, dahinter zu bleiben.»