Estlands wilde Wälder
Wenn Triin Asi im Alutaguse Nationalpark einen Braunbären sieht, dann ist ihr Tag perfekt. Die kräftigen Tiere sollen es in ihrem Waldstück einfach gut haben. Sie und ihr Mann Bert setzen ihr Wissen seit 15 Jahren für den Schutz ihrer estnischen Heimat ein. Und so kauften sie im Nordosten 100 Hektar Wald, ein Refugium im Nationalpark. Triin möchte, dass die Besucher ihres Waldes verstehen, warum der Schutz der Braunbären wichtig ist und naturbelassene Wälder für Bären und andere Wildtiere unverzichtbar sind. Estland ist ein waldreiches Land. 50 Prozent der Gesamtfläche ist von Wäldern bedeckt. Der Wald nimmt im Leben der Esten einen großen Stellenwert ein. Viele besitzen irgendwo im Land ein Stück Wald und sind oft in der Natur unterwegs. Auch die Arbeit mit Holz ist tief in der Geschichte und Kultur der Esten verankert. Bäume gelten vielen sogar als heilig. Estland ist eines der innovativsten Länder im Baltikum, auch in der Holzindustrie. Im weltweiten Vergleich rangieren die großen Firmen auf den vorderen Plätzen. Holzhäuser, Möbel und seit der Energiekrise vor allem Holzpellets, die Esten sind im Geschäft, estnische Qualität ist in Europa gefragt. Viele Firmen wollen fossile Brennstoffe ersetzen und arbeiten daran, mit neuen Technologien auf der Basis von Holz Biomaterialien zu gewinnen. Dafür braucht man viel Holz. Deshalb erforschen Experten aus Industrie und Fortwirtschaft, wie Estlands Waldgebiete möglichst schnell wachsen und nachhaltig bewirtschaftet werden können. Leider ist das Gegenteil der Fall: Estlands Wälder schrumpfen im Rekordtempo. Jedes Jahr gibt die staatliche Forstverwaltung Millionen Kubikmeter Holz zur Rodung frei. Der deutsche Biologe Steffen Noe lebt seit mehr als 15 Jahren in Tartu. Er forscht zum Thema Wasser im Wald. Mitten im geschützten Waldgebiet hat er seine Messstation eingerichtet. Hier werden seit 1912 Bäume gezüchtet, deren Wachstum studiert, Moore trockengelegt und aufgeforstet. Noe und sein Team erforschen die Bildung von Wolken und Regen, um den perfekten Weg für eine gelungene Waldbewirtschaftung zu finden. Auch die Energiekrise ist seit Beginn des Russlandkrieges für Estland ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Importe aus Russland sind gestoppt und so sichern auch Ölschiefervorkommen im Nordosten des Landes eine neue Chance auf dem Energiemarkt. Ölschiefer ist ein geschichtetes Sedimentgestein, das durch Erhitzen in rohölähnliche Substanzen und Gas umgewandelt werden kann.