Die Eisenkocher aus dem Hafen

Die Eisenkocher aus dem Hafen

Die Hitze von 1.600 Grad lässt sich noch in zwanzig Meter Abstand spüren. Hellgelbe Funken schlagen aus dem Schmelztopf und blenden die Augen. Wie überdimensionale Finger ragen drei Elektroden von oben durch den stählernen Deckel in den Topf hinein. Jede von ihnen schickt Starkstrom in den dort eingefüllten, zerkleinerten Schrott. Unter 75.000 Ampere werden die Stücke zu flüssigem Eisen. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Ständig fließt Schlacke wie aus einer überlaufenden Schüssel aus dem Schmelztopf ab. Schließlich brodeln 140 Tonnen Rohstahl in dem Tiegel mit sieben Meter Durchmesser. 42 Jahre hat Manfred Grossert Stahl gekocht. Mitten im Hamburger Hafen. Nun bricht seine letzte Arbeitswoche an, und für den 64-Jährigen heißt es Abschied nehmen von den vielen Kollegen, mit denen er so viele Jahre zusammen gearbeitet hat. Manfred Grosserts Arbeitsplatz ist das Stahlwerk des luxemburgisch-indischen ArcelorMittal-Konzerns. Eine Million Tonnen Stahl verlassen jährlich das Werk. Die Arbeit schweißt die Menschen sprichwörtlich zusammen: Viele der 620 Mitarbeiter sind hier bereits in der dritten Generation beschäftigt, arbeiten oft auch mit Vater oder Bruder gemeinsam. Hinter der harten Fassade des Stahlwerks herrscht ein familiäres Klima, hinter der rauen Schale kerniger Schmelzer verbergen sich oft charismatische Hamburger Originale. Für Manfred Grossert ist das Stahlwerk sein zweites Zuhause, noch in den 1970er-Jahren hat er mit seinem Bruder hier gearbeitet, im Campingwagen auf dem Firmengelände übernachtet. Nun brechen seine letzten Arbeitsstunden an. Nur einige Meter weiter trinkt Ann-Kathrin Grove ihren letzten Kaffee im Pausenraum. Sie hat ihr ganzes Arbeitsleben noch vor sich - meist unter männlichen Kollegen. 'Am Anfang hatten die schon einige Probleme, ich musste mich profilieren. Aber mittlerweile ist es nicht mehr so. Es ist sehr herzlich geworden', freut sich die 21-Jährige. Im Gießwerk verarbeitet sie mit ihren Kollegen den rot glühenden Stahl zu langen Balken, aus denen später feiner Draht gewalzt wird.

Bewertung

0,0   0 Stimmen