Die Christen, der Sozialismus und die deutsche Einheit

Die Christen, der Sozialismus und die deutsche Einheit

25 Jahre Wiedervereinigung bieten Anlass genug zur Legendenbildung: Wie war es damals wirklich? Stimmt es, dass es in der DDR keine friedliche Revolution ohne die Kirchen gegeben hätte? Waren es die Friedensgebete und Montagsdemos, vielerorts angeführt von evangelischen Pfarrern, die das DDR-System zum Wanken brachten? Waren der Wende aber nicht auch Jahre der "Kirche im Sozialismus" vorausgegangen, in denen Pfarrer und Bischöfe versucht hatten, sich mit dem SED-Regime zu arrangieren? Und welche Rolle spielten eigentlich die Katholiken bei dieser friedlichen Revolution im Stammland der Reformation? Tatsache ist, dass viele protestantischen Kirchengemeinden in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum Hort und Zufluchtsort für oppositionelle Gruppen wurden. Unter dem Dach der Kirche, wiewohl nicht immer mit dem Segen der Kirchenoberen, formierte sich der Widerstand gegen die SED-Diktatur. Während die Kirchenleitungen noch das Gespräch mit der Staats- und Parteiführung suchten, waren viele Gemeinden schon längst zu Widerstandszellen der Revolution geworden. Nicht selten fühlten sich Christen dabei auch von ihrer eigenen Kirchenleitung im Stich gelassen. Die vom Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer initiierte Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" wurde zum Symbol der Demokratiebewegung. Dieser Slogan machte nicht nur als Textilaufnäher rasch die Runde. Die von den montäglichen Friedensgebeten in der Leipziger St. Nikolaikirche ausgehenden Demonstrationen wurden 1989 zu einer Volksbewegung im ganzen Land, die schließlich zum Sturz des SED-Regimes führte. Während die Kirchen treibender Motor bei der friedlichen Revolution und dem Fall der Mauer waren, sprachen in den Monaten nach der friedlichen Wende nur wenige Theologen von Wiedervereinigung. Vielmehr wurde der rasche Anschluss der DDR an die BRD in Kirchenkreisen mit Skepsis betrachtet. Und auch die Wiedervereinigung der Evangelischen Kirchen in Deutschland erfolgte erst im Juni 1991, also neun Monate nach der politischen Einigung. Mehr als 25 Jahre nach dem Herbst 1989 gilt es kritisch die Rolle der Kirchen im Prozess der Wiedervereinigung zu hinterfragen. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass die Kirchen nach der Wende nicht mehr von ihrer politisch prägenden Rolle in den Jahren zuvor profitierten. Im Gegenteil: Die Kirchen haben massiv an Einfluss verloren, 25 Jahre nach der Einigung sind die Kirchenmitgliedszahlen auf einen Tiefststand gefallen. Kaum einer redet mehr von den Verdiensten der Kirchen als treibende Opposition in DDR-Zeiten, als Mahner der gewaltfreien Revolution. Wie ist es zu erklären, dass gerade im historischen Stammland der Reformation der Protestantismus kaum noch gesellschaftliche Prägekraft besitzt? Von Volkskirche redet in Ost wie West niemand mehr. Über die Rolle der Kirchen im Prozess der Wiedervereinigung und über den Bedeutungsverlust der Kirchen unterhält sich Meinhard Schmidt-Degenhard mit Hans Joachim Meyer, ehemaliger sächsischer Wissenschaftsminister und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, mit dem ehemaligen Erfurter Pfarrer Erhard Neubert und seiner Ehefrau Hildigund, beide einst aktiv im DDR-Widerstand, und mit dem Religionssoziologen Prof. Detlef Pollack, Münster/Berlin.

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