Das Mädchen und der Flüchtling

Das Mädchen und der Flüchtling

Gesellschaft und Soziales 

Es ist der 22. Dezember 2017: In einer ruhigen Wohnstraße im hessischen Darmstadt stellt sich ein 16-jähriger afghanischer Flüchtling einem 17-jährigen Mädchen in den Weg. Die beiden kennen sich aus der Schule, sie war seine Deutsch-Patin. Und er glaubte, sie wären ein Paar. Dann geht alles ganz schnell.

Das Springmesser hatte er mitgebracht, damit sticht er zu, immer wieder. Eine brutale Attacke, die das Mädchen nur knapp überlebt. Noch am selben Abend wird der Junge in seiner Wohngruppe für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge festgenommen. Nur fünf Tage später im südpfälzischen Kandel: Mit zahlreichen Messerstichen tötet ein afghanischer Flüchtling seine ehemalige Freundin in einem Drogeriemarkt. Ein paar Wochen zuvor hatte das Mädchen die Beziehung beendet. Eine grausige Tat, deren Brutalität ganz Deutschland schockiert. Bereits wenige Stunden nach der Tat überschlagen sich Meldungen und Kommentare in den sozialen Medien. In Trauer und Entsetzen über den Tod des jungen Mädchens mischen sich Wut und Hass: auf den Täter; auf Flüchtlinge und die, die sie unterstützen. Und auf die Politiker, die die Sicherheit der Bevölkerung, wie es heißt, aufs Spiel setzten. Kandel ist gleich mehrfach zum Symbol geworden: für eine sträflich naive Flüchtlingspolitik - sagen die einen. Für die politische Instrumentalisierung eines schrecklichen Einzelfalles - sagen die anderen. Die hr/SWR-Koproduktion 'Das Mädchen und der Flüchtling' geht auf Spurensuche in Kandel und in Darmstadt. Die Autoren wollen wissen: Wie begegneten sich Opfer und Täter? Wer hat versucht, den jugendlichen Geflüchteten die Werte einer freien und gleichberechtigten Gesellschaft nahezubringen? Ist es fahrlässig, junge Mädchen zu Deutsch-Patinnen junger Männer zu machen, die mit einem völlig anderen Frauenbild groß wurden? Welche Spuren haben die schrecklichen Messerattacken in den beiden Städten hinterlassen? In Kandel - wo inzwischen regelmäßig Tausende Menschen aus ganz Deutschland anreisen, um für oder gegen Zuwanderung zu demonstrieren. Und in Darmstadt, wo inzwischen fast 4.000 Flüchtlinge leben. Wie gefährlich ist es in einer Stadt, die 216 unbegleitete Minderjährige aufnahm, von denen viele aus Afghanistan stammen? Väter erlauben ihren Töchtern nicht mehr, am Abend in die Innenstadt zu fahren.Es gelingt den Autoren, tiefer einzutauchen in die tägliche Begegnung, in das aufgeladene Spannungsfeld von Flüchtlingen und Deutschen. Schülerinnen und Lehrerinnen der Darmstädter Berufsschule, in der sich das Mädchen und der Flüchtling in einer Integrationsklasse begegneten, sprechen offen über ihre Erfahrungen, ebenso die junge Lehrerin, die hier Ansprechpartnerin für alle Mädchen ist, die sich seit der Einschulung der Flüchtlinge sexuell belästigt fühlen. Schließlich bekommt das Team des Hessischen Rundfunks auch Zutritt zu der Wohngruppe, in welcher der afghanische Junge gelebt hat und wo er noch am Tatabend festgenommen wurde. Vor der Kamera steht eine Gruppe Jugendlicher, die Hälfte von ihnen aus Afghanistan, sportlich gekleidet, mit aktuellen Frisuren und dem obligatorischen Smartphone in der Hand. Einer aus ihrer Mitte hat versucht, ein Mädchen zu töten, das er meinte zu lieben. Über dem Eingang zur Wohnunterkunft mahnt ein Transparent: Respekt. Respekt vor jungen Frauen und Andersdenkenden müssen viele erst lernen. Wer bringt es ihnen bei?

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