
Betäubt und missbraucht - Der Fall Pelicot

Mathieu, 49 Jahre, Bäcker. Nicolas, 37 Jahre, Journalist. Didier, 63 Jahre, Rentner. Adrien, 23 Jahre, Bauleiter. Sie alle standen im Herbst 2024 im südfranzösischen Avignon vor Gericht. Insgesamt 50 Männer wurden beschuldigt, die heute 72-jährige Gisèle Pelicot vergewaltigt zu haben - in Anwesenheit von deren Ex-Mann, Dominique Pelicot. Zehn Jahre lang hatte dieser seine Frau mit Medikamenten betäubt, um sie von fremden Männern missbrauchen lassen. Ein Verbrechen von unfassbarem Ausmass. Und doch kein Einzelfall. Das sagt Caroline Darian, die Tochter von Gisèle und Dominique Pelicot. «Fast alle Vergewaltiger meiner Mutter lebten im Département Vaucluse», erzählt sie - also auf einem Gebiet, das flächenmässig nur etwas grösser ist als der Kanton Waadt und etwa gleich viele Einwohnerinnen und Einwohner zählt wie der Kanton St. Gallen. «Wenn es auf diesem kleinen Gebiet schon so viele Täter gibt und diese so harmlos wirken, dann muss die Zahl der Opfer - hochgerechnet auf ganz Frankreich - sehr hoch sein.»
Seit die Verbrechen ihres Vaters dank eines Zufalls ans Licht gekommen sind, beschäftigt Darian sich intensiv mit der Problematik der «soumission chimique», der sogenannten «chemischen Unterwerfung». Und so nimmt sie auch in diesem eindrücklichen Dokumentarfilm eine zentrale Rolle ein: als Protagonistin, aber auch als Erzählerin. Sie berichtet, wie sie den Prozess erlebt hat, wie ihr Leben in den letzten Jahren komplett aus den Fugen geraten ist - und was sie selbst im Zuge ihrer Recherchen gelernt hat. So sei etwa die gängige Annahme, dass die Täter vor allem K.o.-Tropfen einsetzen würden, um ihre Opfer zu betäuben, falsch. In den meisten Fällen seien es Schlaf- oder Schmerzmittel oder sogar Anti-Allergika aus der Hausapotheke. Und sie bringt die Geschichte ihrer Mutter in einen grösseren, gesellschaftlichen Zusammenhang, indem sie weitere Betroffene zu Wort kommen lässt: Die Hausärztin Zoé, die als 15-Jährige an einem Stadtfest betäubt, vergewaltigt und in einem Park liegengelassen wurde. Lilwenn, die ab ihrem neunten Lebensjahr von ihrem eigenen Vater missbraucht wurde. Rénald, der sich über Jahre selbst die Schuld dafür gab, was er als junger Mann erlitten hatte. Sandrine, eine Parlamentarierin, die sich aufgrund ihrer eigenen Erfahrung für die Opfer chemischer Unterwerfung einsetzt. «Dieses Phänomen ist massiv, ja sogar systemisch», sagt Caroline Darian. Doch dank ihrer Mutter, die den Mut gehabt habe, einen öffentlichen Prozess zu verlangen, stünde man heute an einem historischen Wendepunkt: «Wir haben die Chance, unsere Denkweise zu verändern.»
Erstausstrahlung: 05.06.2025