Bedrängt. Bedroht. Geschlagen - Alltägliche Gewalt auf der Straße

Bedrängt. Bedroht. Geschlagen - Alltägliche Gewalt auf der Straße

Gesellschaft und SozialesCH  

Es braucht manchmal nicht viel: Ein falsches Wort, ein falscher Blick, und plötzlich wird scheinbar grundlos zugeschlagen. Oft passiert es am Wochenende, und meist ist Alkohol im Spiel.

Worum geht es dabei? Um Macht und Stärke? Und warum nehmen Gewaltstraftaten wieder zu? Josef Wartenweiler wird im Herbst 2019 in Winterthur von zwei jungen Männern angegriffen. Sie verletzen ihn mit Messerstichen unweit von Herz und Lunge. Er hätte sterben können.

Die Täter erbeuten dabei 43 Franken. Überwachungskameras filmen ihre Flucht, die Bilder werden sie später überführen. Er habe sich etwas zum Essen kaufen wollen und kein Geld gehabt, gibt der Haupttäter zu Protokoll, und er habe erleben wollen, wie das so sei, jemanden zu schlagen. Das sei wie Bungee-Jumping, ein Adrenalinkick der besonderen Art.

Wochenende für Wochenende passieren solche Gewaltstraftaten. Historisch gesehen lebt die Gesellschaft in der Schweiz in einer beispielslos friedlichen Zeit, umso mehr macht solch sinnlose Gewalt ratlos. Die Statistik belegt zudem: Die Gewalt nimmt wieder zu. 2018 wurden schweizweit knapp 31 000 Straftaten im Bereich minderschwere Gewalt registriert. Dazu gehören Tätlichkeiten und einfache Körperverletzungen. Umgerechnet sind das fast 85 Straftaten pro Tag.

Basel gilt als Hotspot und weist die höchste Dichte an Gewaltstraftaten aus. Am Wochenende ist es beinahe üblich, dass es zu Schlägereien, Messerstechereien und Überfällen kommt. Je später der Abend, desto höher das Risiko, weiß Jan Wildhaber von der Basler Jugendpolizei. Junge Männer sind heute schneller gewaltbereit als früher. "Es ist brutaler, und es knallt schneller", sagt Wildhaber. Das klassische Täterprofil ist jung und männlich. Kommen Alkohol oder Drogen dazu, fallen die Hemmungen. Dabei hält sich ein Trend hartnäckig: Auch wenn jemand verletzt ist oder am Boden liegt, wird weiter zugeschlagen. Schweizweit ist die Jugendgewalt zum dritten Mal in Folge gestiegen.

Zunehmend betroffen sind auch junge Frauen. Für sie wird der öffentliche Raum immer gefährlicher. Neueste Zahlen vom Forschungsinstitut GfS Bern decken das Ausmaß auf: Mehr als die Hälfte aller jungen Frauen in der Schweiz hat bereits sexuelle Belästigung erfahren, jede fünfte sogar einen sexuellen Übergriff, von denen aber nur knapp zehn Prozent angezeigt werden.

Im Jahr 2000 war die Jugendgewalt am höchsten und im öffentlichen Bewusstsein. Es herrschte ein gesellschaftlicher Konsens, dass diese Gewalt nicht toleriert wird. In den folgenden Jahren ging sie zurück, auch weil sich die Jungen mehr im Netz statt auf der Straße trafen. Jetzt nimmt die Gewalt wieder zu. Warum das so ist, kann niemand schlüssig erklären. Laut Fachleuten könnte es damit zu tun haben, dass die Gewalt aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt und die in den 2000er-Jahren ausgebaute Präventionsarbeit mancherorts zu sehr vernachlässigt wurde.

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