Auf dem Irtysch durch Sibirien

Auf dem Irtysch durch Sibirien

LandschaftsbildD  

Straßen und Wege gibt es nicht von Omsk nach Salechard. Im Sommer tuckert ein Schiff nach Norden, im Winter rattern LKW auf der Eisstraße, dem zugefrorenen Irtysch. Er ist der längste Nebenfluss der Erde, 4248 Kilometer lang.

Doch in Sibirien heulen nicht mehr Wölfe und Bären. Die gibt es natürlich, aber es gibt auch zukunftshungrige junge Leute, wie Angela und Ilja, die in der Modelschule vom Laufsteg in Paris und Peking träumen.

Unten am Fluss werden Wurst und Klopapier eingepackt und dann tuckert die Rodina, das Schiff mit dem schönen Namen Heimat, los. An Bord russische Traveller mit Rucksack, die sich in Achterkabinen zusammendrängen, selbst kochen und Yoga an Deck machen und Omas mit ihren Enkeln, die aus dem Urlaub im Süden zurückkehren in den Norden. Viktor Geier macht jeden Morgen Ertüchtigungsübungen auf dem Vorderdeck und singt patriotische Lieder, eine Angewohnheit aus seiner Zeit als Aktivist auf der Baikal-Amur-Magistrale.

An Bord ist eine russische Familie: Vater, Mutter und zwei Kinder. "Wir waren schon in Europa, in Italien, Spanien, aber jetzt wollen wir Russland entdecken und Tobolsk". Die Stadt war bis zur Revolution geistliches Zentrum Sibiriens. Seit kurzem gibt es wieder eine Schule, wo Darja und Anna mit Hingabe lernen, Ikonen zu malen. Der Bedarf ist riesig. Überall werden aus Lagern und Hallen wieder Kirchen und die müssen ausgestattet werden.

Dichte Wälder ziehen vorbei, am Ufer liegt säuberlich gestapeltes Holz. Ludmilla Schukowa ist Umweltaktivistin. Ihr fiel auf, dass immer mehr Holz gefällt und über die Grenze in das nahe holzarme Steppenland Kasachstan mit gutem Gewinn verschoben wurde. Ludmilla Schukowa wandte sich an Staatsanwaltschaften und Journalisten. Bis zu Putin drangen ihre Beschwerden. Seitdem sind die Kontrollen schärfer geworden, sagt sie zufrieden.

Bei der Stadt Chanty-Mansijsk fließt der Irtysch in den Ob und bildet mit ihm zusammen einen der längsten Flussläufe der Erde, insgesamt 5410 Kilometer. Sein Einzugsgebiet entspricht etwa der fünffachen Fläche Deutschlands.

Hier beginnt das Gebiet der Chanten, die ihre Rentiere durch die Tundra treiben und auch im minus 50 Grad kalten Winter in ihren Jurten leben. Ihre Kinder sind nur im Sommer in der Tundra. Sie gehen in Internaten zur Schule, gewöhnen sich an fließendes Wasser, Toiletten, geheizte Zimmer, Straßen und Geschäfte und kehren nicht mehr in die Tundra zurück.

In einigen kleinen Orten spielen sich am Landesteg Dramen ab. Wer keine Fahrkarte hat, muss zurückbleiben, manchmal mit Geschrei, Fluchen und Tränen. Aber die Mannschaft ist beinhart: wir dürfen nur 250 Passagiere mitnehmen, sagen sie und ziehen unnachgiebig die Brücke ein.

Endstation der Reise auf der Rodina ist Salechard, gemessen am Durchschnittseinkommen, die reichste Stadt Russlands. Die Öl - und Gasfelder von Gazprom, Rosneft und Lukoil sind nicht weit. Die Straßen sind glatt, die SUV -Dichte hoch, die Häuser nagelneu, eine neue Kirche, gesponsert von Gazprom, ist im Bau. Der Aufschwung kam mit "Neftj i gas" - "Öl und Gas". Arbeitgeber zahlen inzwischen in der Stadt des Permafrosts und der weißen Kragen, wo Ölarbeiter, aber auch Beamte und Verwaltungsangestellte in den Dependancen der Öl- und Gaskonzerne arbeiten, die sogenannte "Nordzulage". Das ist ein Aufschlag von 80 Prozent als Ausgleich für eiskalte Winter mit bis zu minus 60 Grad.

"Emirate", heißen im russischen Volksmund solche Städte, Inseln des Wohlstands in einem Land, in dem jeder Fünfte unter dem Existenzminimum lebt. Sie beweisen, dass es auch jenseits von Moskau und St. Petersburg aufwärts geht. Hier führt Dimitrij Tereschuk das angesagte Restaurant Panorama, hoch oben in einem Brückenpfeiler für die Hautevolee der Stadt. Doch die Designer-Möbel für sein Restaurant kommen aus dem viertausend Kilometer entfernten Moskau. Reich mag der Norden Sibiriens sein. Aber Designer gibt es hier nicht. Dafür Rentiere, Models und Ikonenmaler.

Bewertung

0,0   0 Stimmen