
An einem Tag in Kunduz
Der Luftangriff von Kunduz in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 ist der blutigste deutsche Militäreinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg. Oberst Georg Klein, der militärische Leiter des Provinz-Wiederaufbauteams (PRT) in Kunduz, bittet an jenem Donnerstagabend die Besatzung eines amerikanischen B1-Bombers, nach zwei gestohlenen Tanklastern Ausschau zu halten. Die Laster waren an einer fingierten Straßensperre von Taliban entführt worden. Kurz nach Mitternacht entdeckt die Bomber-Crew die beiden Fahrzeuge, die auf einer kleinen Insel im Fluss Kunduz, zirka sieben Kilometer südlich des PRT, festsitzen. Die Bundes-wehr bekommt Informationen, wonach einige Leute im Umfeld der Lastwagen Panzerfäuste und Handfeuerwaffen tragen würden. Als der Bomber kurz danach abdrehen muss, ordert Oberst Klein ein neues Flugzeug an. Der deutsche Offizier stellt den Vorfall als unmittelbare Bedrohung des RPT dar. 20 Minuten nach der Anforderung der Luftunterstützung durch Klein erreichen zwei F-15-Kampfflugzeuge der US-Luftwaffe den Kunduz-Fluss. Sie senden ein Live-Video an Kleins Einsatzzentrale. Darauf erkennt man die beiden Lastwagen und mehrere Dutzend Leute. Zur selben Zeit erhält der Kommando-stand von einem afghanischen Informanten, der die Szene beobachtet, den Hinweis, dass alle Leute in der Nähe der Lastwagen Aufständische seien. Diese Information und die Video-Bilder aus den F-15 hätten hundertprozentig zusammengepasst, sagt Klein später. Gegen 1.49 Uhr ordnet der Oberst die Bombardierung an, zwei Minuten später stehen die Laster in einer Flammenhölle. In den nächsten Tagen wird bekannt, dass bei dem Angriff auch viele Zivilisten ums Leben gekommen sind. Der Luftschlag wird zum Politikum, in dessen Folge der Verteidigungsminister und der Generalinspekteur der Bundeswehr zurücktreten müssen. Was ist in dieser Nacht im Bundeswehrlager von Kunduz passiert? Warum wurden diese Entscheidungen getroffen, die letztlich zum Tod von über 100 Menschen, darunter vielen Zivilisten, führte?