Allein unter Flüchtlingen

Allein unter Flüchtlingen

Gesellschaft und Soziales 

Deutschland und seine Flüchtlingspolitik... Was kommt eigentlich dabei heraus, wenn der scharfzüngige Autor und Theatermacher Tuvia Tenenbom eines der heißesten Eisen anpackt, das man derzeit in der Bundesrepublik anpacken kann? Spätestens seit 2015 entzweit die Flüchtlingskrise die Nation wie kaum ein anderes Thema in den vergangenen Jahrzehnten. Sind die gesellschaftlichen und politischen Folgen der sogenannten "Willkommenskultur" ein visionärer Akt großzügiger Humanität oder der Beweis für eine auf allen Ebenen gescheiterte Flüchtlingspolitik? Was ist los in diesem zerrissenen Land? Und was geht eigentlich in den Köpfen der Deutschen vor?

Tenenbom, bekannt für seine beim Suhrkamp Verlag erscheinenden Bücher und seine politische Kolumne für "Die Zeit", macht sich auf die Suche nach Antworten. Als amerikanischer Jude mit israelischen Wurzeln, der seit Jahren teils in Hamburg lebt, begibt er sich auf eine Monate lange Recherchereise kreuz und quer durch Deutschland - für sein neues Buch und für diesen Film. Aus der Perspektive eines neugierigen Ausländers stellt der Autor seine direkten, manchmal unbequemen Fragen jedem, der sich zu einem Gespräch bereit erklärt. Darunter besorgte Bürger auf der Straße, ihr Helfersyndrom zelebrierende "Gutmenschen", Politiker wie Gregor Gysi oder Frauke Petry und polarisierenden Persönlichkeiten, wie der Autor Akif Pirinçci oder der geistige Führer der neuen Rechten Götz Kubitschek. Und er spricht vorallem mit jenen, um die es eigentlich geht: mit Flüchtlingen. Tenenbom lauscht ihren Geschichten, erfährt, wie es ihnen nach ihrer Ankunft in Deutschland ergangen ist und besucht ohne offizielle Genehmigung ihre teils katastrophalen Unterkünfte, wodurch er einen schockierenden Einblick in die Widersprüche der "Willkommenspolitik" erhält. Wo ist diese einerseits gepriesene, andererseits verrufene Bereitschaft zu helfen und zu retten abgeblieben? Warum gibt es so wenig Strukturen und Pläne, wie mit diesen Menschen nach ihrer Ankunft umgegangen werden sollte? Wie denken die Flüchtlinge? Und wie denken die Deutschen? Werden Verschwörungstheorien und Antisemitismus aus dem Nahen Osten neu importiert - oder sind sie fester Bestandteil der autochthonen Mehrheitskultur? Statt Antworten zu erhalten, werfen sich dem Autor immer mehr Fragen auf - und je länger er durch Deutschland reist, desto öfter begegnet ihm auf Seiten der Deutschen ein immer wiederkehrender Begriff: Schuld, Schuldgefühle basierend auf einem nicht überwundenen Holocaust und Weltkriegstrauma, welches die Nation nach wie vor im Griff zu haben scheint. Worum geht es den Deutschen in der Flüchtlingspolitik tatsächlich? Brauchen die Flüchtlinge Deutschland oder Deutschland die Flüchtlinge im Sinne einer nationalen Therapie? Wer braucht wen mehr?

Ein schnörkellos unbequemes, entlarvend erhellendes, provozierendes und trotzdem leichtfüßiger Film im Road-Movie-Stil, in dem viele Masken fallen.

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