Trostpreis Oscar?

Trostpreis Oscar?

Zur 91. Verleihung der Academy Awards

23.02.2019 - 09:00 Uhr

Am Montagmorgen deutscher Zeit ist es wieder einmal soweit: In Los Angeles versammeln sich die Schönen, Reichen, Einflussreichen – und ja auch einige der tatsächlich Begabten – Hollywoods, um dabei zu sein, wenn als Höhepunkt und Abschluss der großen Filmpreissaison die Academy Awards vergeben werden.

Wie es die Tradition verlangt, werden dabei nicht nur Goldstatuetten für das Kaminsims verteilt, sondern seitens der Filmfans auch schlechte Noten für die Academy, die – wie in jedem Jahr – natürlich wieder einmal die Falschen mit einem Oscar belohnen wird. Oder zumindest nicht die Favoriten des Publikums, sondern lange Unbelohnte, Aushängerschilder der Academy oder auch nur die kleinsten gemeinsamen Nenner.

Oscars für Verschmähte oder ausschließlich mathematisch erfolgreiche Drittplatzierte haben in Hollywood nämlich eine lange Tradition, die bis ins erste Jahrzehnt der Academy Awards zurückreicht. Und die interessante Einblicke in die Abstimmungskultur der US-Filmakademie gewährt.

Schon 1940 wurden gleich zwei kleinste gemeinsame Nenner mit dem Oscar belohnt, nachdem sich die eigentlich Besten gegenseitig die Stimmen weggenommen hatten. Während sich die Schauspiellegenden Bette Davis in Der Brief und Katharine Hepburn in Die Nacht vor der Hochzeit die Seele aus dem Leib gespielt hatten und als Favoritinnen in die Oscarnacht gingen, ging der Academy Award am Ende an Kandidaten Nr. 3, Ginger Rogers in Fräulein Kitty. Das gleiche passierte am selben Abend bei den besten Schauspielern, wo Charlie Chaplin als Großer Diktator und Henry Fonda für Früchte des Zorns nominiert waren. Hier ging der Oscar stattdessen an James Stewart, der sich in Die Nacht vor der Hochzeit zwar äußerst charmant präsentiert hatte, aber im Vergleich doch deutlich abfiel.

Zehn Jahre später erlebte Bette Davis ihr blaues déjà vu: In Alles über Eva lieferte sie die vielleicht größte Glanzleistung ihrer Karriere, aber da zeitgleich ihre Eva-Kollegin Anne Baxter nominiert wurde, die ebenfalls eine hervorragende Darstellung hingelegt hatte, halbierten sich die Stimmanteile beider Schauspielerinnen. Die glückliche Dritte hier war Judy Holliday, die den Oscar für ihre Rolle in Die ist nicht von gestern mit nach Hause nehmen konnte.

Doch Glück allein reicht nicht immer zum Oscarerfolg: Auch Politik kann bei Oscarverleihungen eine entscheidende Rolle. Nicht so sehr die Weltpolitik, wobei diese sicherlich bei den Oscars für Michael Moores Bowling for Columbine 2003 und Al Gores Eine unbequeme Wahrheit 2007 ein wesentlicher Faktor war, sondern eher die Studiopolitik in Hollywood. So galt Ingrid Bergman Anfang der 50er Jahren als Ausgestoßene, nachdem sie ihren Mann verlassen hatte, um mit Roberto Rossellini zusammen zu sein. Erst Mitte der 50er gelang es Bergman, nicht zuletzt dank einer sorgsam orchestrierten Marketingkampagne, ihr Ansehen in Hollywood wiederherzustellen, was ihr 1957 – deutlich mehr als ihre schauspielerische Leistung in Anastasia – ihren zweiten Oscar einbrachte.

In ähnlicher Weise vollzogen sich gleich zwei Oscarnominierungen einer der großen Diven Hollywoods: Elizabeth Taylor wurde 1959 nicht in erster Linie für ihre Rolle in Die Katze auf dem heißen Blechdach nominiert, obwohl sie diese tatsächlich bemerkenswert intensiv gespielt hatte, sondern weil im Jahr zuvor ihr Mann gestorben war. Die Academy würdigte Taylor also als Filmheldin in Trauer, konnte ihr gleichzeitig aber nicht verzeihen, die glückliche Ehe von Eddie Fisher und Debbie Reynolds – dem Aushängepaar Hollywoods jener Tage – ruiniert zu haben. Taylors potentieller Oscar ging deshalb an Susan Hayward für Lasst mich leben, und auch die übrigen 5 Nominierungen für ihren Film endeten erfolglos.

Verdient? Gewonnen! Elizabeth Taylor holt sich den Preis für Telefon Butterfield 8 ab

2 Jahre später war es dann wiederum eine persönliche Krise, die zu ihrem Oscarerfolg beitrug: Nachdem sich Taylor bei den endlosen Dreharbeiten zu Cleopatra im nasskalten London eine beinahe tödliche Lungenentzündung zugezogen hatte, feierte Hollywood ihr Überleben mit einem Oscar für ihren Auftritt in Telefon Butterfield 8, obwohl in jenem Jahr mit Deborah Kerr (Der endlose Horizont) und insbesondere Shirley MacLaine (Das Appartement) zwei an sich bewegendere Darbietungen nominiert waren.

Und auch das gibt es bei den Oscars: Den Trostpreis für eine allgemein als unverdient angesehene Niederlage in einem früheren Jahr. Als erster dieser Trostoscars gilt gemeinhin Bette Davis‘ Trophäe für Gefährliche Liebe, die sie primär erhielt, weil sie im Jahr zuvor offiziell noch nicht einmal nominiert worden war, sondern nur wegen der treuen Unterstützung ihrer Kollegen als 4. Kandidatin eines 3-Kandidaten-Rennens am Start gewesen war. Davis selbst war der Ansicht, dass in jenem Jahr Katharine Hepburn hätte gewinnen müssen, was zeigt, dass Trostoscars dazu neigen, Trostbedarf in Folgejahren auszulösen.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist zudem Julie Andrews‘ Oscartriumph für Mary Poppins. Sie hatte zuvor erfolgreich Eliza Doolittle in der Bühnenfassung von My Fair Lady gespielt, war jedoch in der Filmfassung durch Audrey Hepburn ersetzt worden. Ihre Academy-Kollegen sahen dies als große Ungerechtigkeit seitens Jack Warners und reagierten entsprechend gewitzt, indem sie Hepburn noch nicht einmal nominierten, obwohl diese eine äußerst charmante Leistung abgeliefert hatte, und Andrews in der „falschen“ Rolle der Mary Poppins mit dem Oscar belohnten.

Falsche Rolle, richtiger Oscar: Julie Andrews gewinnt als Mary Poppins

Die Standardmethode Hollywoods, Nicht-Gewinner zu trösten, ist jedoch der Griff zum Ehrenoscar. Dummerweise ist dies über die Jahre sehr offensichtlich geworden, weshalb so manch dergestalt Geehrter nicht wirklich begeistert ist, mit einem quasi irregulären Oscar abgespeist zu werden. Als Mickey Rooney 1983 den Ehrenoscar erhielt, stellte er in seiner Dankesrede klar, welche Preise er bereits aus eigener Kraft gewonnen hatte. Und auch Paul Newman reagierte zwei Jahre später buchstäblich distanziert auf die Ehrung der Academy: Er blieb der Oscarverleihung fern und schickte eine freundliche Videobotschaft, in der er betonte, dass er noch lange nicht zum alten Eisen gehörte, sondern gerade in diesem Moment an einem neuen Film arbeitete. Für den er ein Jahr später auch tatsächlich mit einem echten Oscar belohnt wurde, wobei sich auch hier wieder die Frage stellte, ob er wirklich der Beste des Jahres war oder nicht auch nur ein weiterer Getrösteter.

Mehrheitlich bei Männern gibt es zudem den sogenannten Karriereoscar, der weniger für einen Film verliehen wird, sondern für eine komplette Filmkarriere. Während bei den besten Hauptdarstellerinnen oft die jüngsten zum Zuge kommen, setzen sich bei den besten Hauptdarstellern nämlich häufig die älteren Semester durch. Altersdiskriminierung à la Hollywood eben. Beispiele für dieses Phänomen sind John Wayne, der im Alter von 62 endlich seinen Oscar bekam, Peter Finch, der im Alter von 60 ausgezeichnet wurde und Henry Fonda, der gar bis ins 77. Lebensjahr warten musste. Auf der anderen Seite waren Katharine Hepburn und Bette Davis mit jeweils 27 Jahren bei ihrem Sieg die jüngsten Nominierten des Jahres. Und zahlreiche weitere Oscar-Siegerinnen standen bei ihrem Sieg praktisch noch am Anfang ihrer Karriere, darunter Grace Kelly, Audrey Hepburn, Gwyneth Paltrow und Hilary Swank.

Was all das in diesem Jahr bedeutet, in dem die Lage in Hollywood (und der Welt) so durcheinander ist, dass sich die Academy nicht einmal auf einen Komiker als Moderator einigen konnte, bleibt abzuwarten. Sollte der ein oder andere persönliche Favorit aber leer ausgehen, zeigt unsere Geschichte immerhin: Ein Ausgleichstrostoscar in den nächsten Jahren könnte immer noch drin sein.

ProSieben berichtet am Sonntagabend ab 23:50 Uhr live vom roten Teppich und überträgt ab 2 Uhr die gesamte Oscarverleihung aus Los Angeles.