Spielbericht: Viertelfinale - Wales gg. Belgien (3:1)

Spielbericht: Viertelfinale - Wales gg. Belgien (3:1)

Das Wunder von Wales geht weiter

02.07.2016 - 00:15 Uhr

Mit Geheimfavoriten ist es bei Turnieren immer so eine Sache: Manchmal bleibt das Geheimnis zu lange bestehen und kann nie so recht stechen. Das vor der Europameisterschaft immer wieder zum Favoriten hochgeschriebene Belgien ist jedenfalls komplett unter die Räder geraten und konnte seinen schnellen Konterfußball gegen Wales nur ansatzweise ausspielen. Wales hingegen steht nach einer starken Mannschaftsleistung hochverdient im Halbfinale dieser EM.

Zum Spiel: Die Partie begann auf belgischer Seite vollkommen nach Plan. Von Anfang an ging das Team von Marc Wilmots zum Angriff über und drängte die tiefstehenden Waliser zurück. In der 7. Minute dann drei Chancen in Folge: Erst scheiterte Carrasco nach Vorlage von Lukaku am langen Pfosten, dann konnte Meunier die walisischen Abwehrreihen im Nachschuss nicht durchbrechen, und schließlich stand auch Hazards Erfolg der Fuß eines Abwehrspielers im Wege, der den Ball zur Ecke umlenkte. Die immerhin war erneut brandgefährlich: Lukaku stand am zweiten Pfosten bereit, um den Ball reinzumachen, trat aber daneben.

Danach machten sich die Waliser an ihren ersten echten Angriff: In der 10. Minute stieß Bale über links tief in die belgische Hälfte vor und zog aus spitzem Winkel ab. Der Ball traf nur das Außennetz.

3 Minuten später waren wieder die Belgier am Zuge: Nachdem sie die Waliser in ihrem Strafraum eingekesselt hatten, nahm sich Radja Nainggolan ein Herz und hielt aus über 20 Metern aufs Tor. Hennessey kam noch mit den Fingerspitzen an den Ball, konnte den Einschlag im oberen linken Eck jedoch nicht verhindern. Die Führung für den Favoriten.

1:0 für die Favoriten

Doch nun geschah Seltsames auf dem Rasen: Die Belgier nahmen das Tempo aus der Partie und gaben die Kontrolle über das Spielgeschehen ohne jeden Grund aus der Hand. Die Waliser witterten nun ihre Chance und griffen 10 Minuten lang aus allen Richtungen an, bis Taylor in der 26. Minute eine echte Großchance herausarbeiten konnte: Ramsey war zuvor im Strafraum an den Ball gelangt und konnte ohne jedes belgische Eingreifen auf den Elfmeterpunkt ablegen, wo Taylor frei zum Ball kam. Sein flacher Schuss kam gefährlich aufs Tor, konnte von Courtois jedoch genial mit dem Fuß abgewehrt werden.

Doch was hier geschah, sollte sich noch mehrfach wiederholen: Die belgische Abwehr - nach mehreren Ausfällen um- und unorganisiert - kam mit den Walisern einfach nicht zurecht. Das rächte sich in der 30. Minute, als Ashley Williams bei einer Ecke nach einem cool ausgedachten und ausgeführten Rugby-Manöver frei mit dem Kopf ans Leder kam. Drei Angreifer hatten sich da aus einer Menschentraube gelöst und die Belgier komplett verwirrt, der Kopfball vom Waliser Kapitän ging unaufhaltsam ins rechte Eck.

Der Ausgleich durch den Kapitän

Die Belgier wirkten nach diesem Treffer wieder wacher, die Waliser heiß auf das zweite Tor: In der 34. Minute kam Bale zum Abschluss, in der 39. sorgte eine weitere walisische Ecke für Gefahr im belgischen Strafraum. Die Hintermannschaft der Belgier sah erneut nicht gut aus, Glück für die Abwehr, dass der Ball im Nachthimmel verschwand.

Bei den Walisern lief indes auch nicht alles rund: In der 40. Minute konnte Nainggolan eine gute Flanke in den 16er bringen, wo Alderweireld bereits wartete. Der Kopfball allerdings brachte nichts ein, Hennessey war auf dem Posten.

Nach dem Seitenwechsel zeigten die Belgier, wie schon in der ersten Hälfte, guten Angriffsfußball. Das wesentliche Kraftzentrum für diese neuen Offensiven war Marouane Fellaini, der für Carrasco gekommen war und nun 45 Minuten lang überall da auftauchte, wo die Waliser ihn nicht haben wollten. Und der immer den entscheidenden Schritt zu spät dran war.

Richtig riskant wurde es für Hennesseys Tor in der 48. Minute: Meunier flankte da von rechts auf Lukaku, der glänzend stand, um sein Team per Kopf wieder in Führung zu bringen, doch der schaffte es nicht, den Ball zu kontrollieren. Das Leder ging deutlich neben das Tor.

2 Minuten später zahlte sich das belgische Powerplay ein weiteres Mal beinahe aus: Diesmal versuchte es der belgische Kapitän Hazard von links mit einem Schuss von der Strafraumgrenze. Der Ball war gut, aber nicht gut genug und verfehlte das lange Eck um Zentimeter.

Doch nun geriet die Welt für die Belgier aus den Fugen: In der 55. Minute reichte den Walisern ein genialer Moment, um das Spiel zu drehen. Mit einem einfachen, aber klugen Pass schaltete Bale die belgische Hintermannschaft aus, Ramsey konnte von rechts in den Strafraum passen, und Robson-Kanu legte eine geniale Drehung hin, zog täuschte einen Pass an und legte sich stattdessen den Ball auf für ein Traumtor aus knapp 5 Metern. Wunderschön anzusehen, für die Belgier aber ein Schlag in die Weichteile.

Genial gemacht: Die Führung für die Waliser

Und entsprechend spielten sie danach auch: Ihre Körpersprache kündete nicht vom Willen zum Sieg, sondern von zerknirschter Betroffenheit. Die Energie, die es nun gebraucht hätte, um die schnellen belgischen Spielzüge auszuführen, kam da gar nicht erst auf.

Stattdessen kam in der 66. Minute Ashley Williams zu einer guten Torchance, als er nach einer Ecke einen Nachschuss frei aufs Tor schießen konnte. Allein, die Aktion war nicht genau genug getimet, der Ball flog über die Latte.

4 Minuten später hatte Fellaini im walisischen Strafraum alle Chancen, einen erneuten Ausgleich zu erzielen, doch der entscheidende Schritt fehlte. So rannten die Belgier mit ungenauen Bällen gegen eine walisische Hintermannschaft an, die sich mit inzwischen bekannter Zähheit eingrub. In der 74. Minute versuchte Alderweireld es mit einer Flanke auf Fellaini, der den Waliser Chester zwar ausspielen konnte, aber auch knapp am Tor vorbeischoss.

Den Belgiern lief nun die Zeit davon, sie mussten volles Risiko gehen, um sich in die Verlängerung zu retten, und die Waliser wussten, die nun freien Räume zu nutzen: In der 85. Minute konnte Gunter bei einem schwach verteidigten Konter von rechts ungestört in den belgischen Strafraum flanken, wo der gerade erst für den Führungstorschützen Robson-Kanu eingewechselte Sam Vokes frei zum Kopfball kam. Sein Ball hätte perfekter nicht ausfallen können und flog unhaltbar ins lange Eck.

Die Sensation ist komplett

Die Schlussphase war dann noch geprägt von vielen langen Bällen der Roten Teufel, die samt und sonders der walisischen Abwehr anheimfielen. Nach 3 Minuten Nachspielzeit war die Sensation dann perfekt: Wales steht erstmals in der Geschichte im Halbfinale einer Europameisterschaft, der zu geheime Geheimfavorit Belgien fährt von Lille aus 20 km weit nach Hause.

Den Belgiern wurde es hier am Ende wohl doch zu bunt, für Wales heißt es weiter: Träumen vom Titel

Ob für Wales auch das Finale drin ist, entscheidet sich am Mittwochabend gegen Ronaldos Portugiesen.