Der Tatort wird 1000

Der Tatort wird 1000

Das Jubiläum, das eigentlich keines ist

13.11.2016 - 10:00 Uhr

Schon seit Wochen pfeifen es die Kommissare aus der Pathologie: Der Tatort, Deutschlands Krimikultklassiker Nr. 1, wird 1000. Für die Jubiläumsfolge tut sich Maria Furtwänglers Charlotte Lindholm aus Hannover mit Axel Milbergs Klaus Borowski aus Kiel zusammen, um - in Anspielung auf den Titel der ersten Folge der Reihe - ein weiteres Mal den Fall von einem "Taxi nach Leipzig" zu untersuchen.

Er ist und bleibt unerreicht: Der Tatort

Während die Originalfolge aber mit den Feinheiten innerdeutscher Zusammenarbeit in den Zeiten der Teilung spielte und einen Hamburger Kommissar in die DDR schickte, geht es im Jahr 2016 um einen ehemaligen Elite-Soldaten, "der sich nach seinem Einsatz in Afghanistan an seiner Ex-Freundin rächen will, bevor ihre Hochzeit mit einem Kameraden stattfindet". Man sieht: Der Tatort geht mit der Zeit.

Damit diese Folge als 1000. Tatort auf Sendung gehen kann, musste die ARD die Vergangenheit der Reihe allerdings ein wenig schönen: Eigentlich hätten wir den 1000. Tatort nämlich bereits im Mai zu sehen bekommen. Zwei Arten von Tatorten sind allerdings offiziell nicht mehr Teil der regulären Zählung:

Die eine Sorte ist der Regionalität der Reihe geschuldet: In den 80er Jahren produzierte auch der österreichische ORF Tatorte, die mit dem bekannten Vorspann versehen waren und sich auch sonst nicht allzu sehr von deutschen Tatorten unterschieden. Sie liefen allerdings nie in der ARD und wurden deshalb auch nie in die offizielle Statistik übernommen.

Die andere Sorte von totgeschwiegenen Tatort sind die sogenannten Giftschrankfolgen, die teils verschwunden sind, weil die Rechtesituation unklar ist, teils weil sie in fragwürdiger Weise mit Minderheiten umgingen oder schlicht und ergreifend zu brutal waren. Insgesamt wurden auf diese Weise 6 Tatorte dauerhaft ins Archiv verbannt, womit heute tatsächlich der offiziell 1000. Teil der Reihe über die Mattscheiben flimmert.

Jubiläen wie dieses bieten dabei natürlich immer einen guten Anlass, in die Zukunft zu blicken und sich die nächsten 1000 Tatorte auszumalen, und sei es nur, um in 20 Jahren über derartige Prognosen zu lachen. Wir tippen für die Tatort-Zukunft auf diese Trends:

  1. Klare Genres: Der Münsteraner Tatort war von Anfang an auf Comedy aus, Til Schweiger setzte sofort auf Action. Der Tatort hat seine Vielfalt offenbar als Feature erkannt und ist aufgestellt, allen Geschmäckern etwas anzubieten, ohne notwendigerweise beliebig werden zu müssen: Für jedes Genre kann eben eine andere Stadt zum Zuge kommen. Das mag nicht eben brillant sein, aber es funktioniert und dürfte in den kommenden Jahren noch verstärkt zur Geltung kommen.

  2. Mehr Stars: Nein, Til Schweiger ist damit nicht gemeint, aber in den letzten Jahren war immer öfter Stars und Sternchen aus Film, Fernsehen und Sport in Gastrollen zu sehen. In Zeiten, in denen der Social-Buzz einer Produktion fast schon wichtiger ist als ihre eigentliche Qualität, dürften wir derartige Auftritte häufiger erleben. Zumal die WM-2006-Folge angesichts der jüngsten Enthüllungen um die Vergabe des Sommermärchens nach Deutschland quasi nach einer Fortsetzung schreit.

  3. Online-Ablegerproduktionen: Schimanski hat früh vorgemacht, wie weit sich der Tatort von sich selbst entfernen kann, wenn nur eine charismatische Hauptfigur da ist, um diese Entwicklung tragen zu können. Während Til Schweiger mit seinem Versuch, seine Tatort-Figur ins Kino zu tragen, komplett gescheitert ist, könnte eine analoge Entwicklung in Richtung eines deutlich lebendigeren Mediums durchaus funktionieren. Denn während das Kino nur noch für Megablockbuster wirklich funktioniert und für andere Produktionen erfolgreich nur noch als Werbung für die spätere Heimkinoauswertung genutzt werden kann, gibt es bei Video-on-Demand-Anbietern wie Netflix und Amazon echten Bedarf für populäre Stoffe. Durchaus vorstellbar also, dass eine charmante Tatort-Ermittlerfigur im Fernsehen eingeführt werden und später in einer VOD-Serie weiterverwendet werden könnte. Und gelingt das auch nur einmal, kann es dutzendweise wiederholt werden.

  4. Internationalität: Gewiss, der Tatort ist vor allem da stark, wo er seine regionalen Bühnen nicht nur für Schauwerte nutzt, sondern vollständig in die Geschichten und Figuren einfließen lässt. In einem zusammenwachsenden Europa wäre es aber wohl nicht vermessen zu glauben, dass Gemeinschaftsproduktionen eine Chance haben könnten. Man sollte ja nicht vergessen: Neu wäre eine solche Zusammenarbeit nicht. Die Abenteuervierteiler des ZDF wurden schon in den 60ern und 70ern nicht zuletzt dadurch möglich, dass Mittel, Drehorte, Darsteller und Kreative aus Deutschland und Frankreich gebündelt wurden. Im 21. Jahrhundert könnte der Tatort eine perfekte Plattform bieten, an derartige Erfolge anzuknüpfen.

Ob diese Vermutungen eingetroffen sind, sehen wir spätestens bei Folge 2000. Bis dahin erst einmal: Gute Unterhaltung mit der 1000. Folge des populärsten deutschen Krimiphänomens!

Der 1000. Tatort - Taxi nach Leipzig - läuft um 20:15 Uhr im Ersten.