Zu Tisch am ...
Seit 35 Jahren fährt Thomas Lex jeden Morgen, ganz gleich bei welchem Wetter, mit seinem Boot hinaus auf den Chiemsee, um seine Netze auszuwerfen. Anfangs fischte er mit seinem Großvater, dann mit seinem Vater, heute ist sein 17-jähriger Sohn Florian dabei. Die Lex sind eine von sechs Fischerfamilien auf Frauenchiemsee. Früher waren die meisten Fischer verfeindet. Heute sind sie zwar nach wie vor Konkurrenten, aber sie bewirtschaften den See gemeinsam, kümmern sich darum, dass genügend Jungfische ausgesetzt werden, und regeln genau wie viele Netze jeder Fischer auswerfen darf, damit der Bestand nicht gefährdet wird. Frauenchiemsee lebt aber nicht ausschließlich von der Fischerei. Das ganze Jahr über strömen Touristen vom Festland auf die Insel - von den etwa 180 Bewohnern meist einfach die Fraueninsel genannt - um das Benediktinerinnenkloster Frauenwörth zu besichtigen, aber auch, um die einheimischen Fischspezialitäten zu kosten. Die Fraueninsel ist bekannt für ihre geräucherten Renken. Jeder Fischer hat hier seine eigenen geheimen Räucherrezepte. Es gibt kaum einen Besucher, der sich nicht einen oder zwei Räucherfische mitnimmt. Typisch sind auch Renkenmatjes, Hechtnockerl oder Brachse mit Teigknödel. Und nach getaner Arbeit genießt Thomas Lex dann die guten bayerischen Dampfnudeln seiner Mutter. Von der Fraueninsel bis zum Festland sind es nur wenige Hundert Meter, trotzdem liegen Welten dazwischen. Auf der Insel gibt es weder Autos noch Straßen, geschweige denn Straßennamen. Dafür uralte Hausnamen, die jeder kennt, und die als Adresse reichen müssen. Die Lex zum Beispiel sind die Wickelfischer, die benachbarten Wörndl sind die Kochfischer. Ruhe und Abgeschiedenheit gibt es auf den Chiemseeinseln heute nur noch im Winter und nach Sonnenuntergang, wenn die Touristenströme wieder auf dem Festland angekommen sind. Dann treffen sich die Wickelfischer und die Kochfischer am Abend zu einem Glas Wein am Steg und sind keine Konkurrenten mehr, sondern Nachbarn und Freunde.