Wie viel Polizei braucht Deutschland?

Wie viel Polizei braucht Deutschland?

Diebesjagd und Demo, tragischer Unfall und Terrorabwehr. Die Polizei ist rund um die Uhr im Einsatz. Nie zuvor war sie in Deutschland so wichtig wie heute, nie zuvor stand sie so unter Druck. Polizisten klagen über schlechte Ausstattung. Überall fehle es an Personal. "ZDFzeit" fragt: Wie ernst ist die Lage? Welche Folgen hat das für jeden von uns? Gibt es wirklich "No-go-Areas", rechtsfreie Räume, in denen die Ordnungshüter so gut wie machtlos sind? Polizist in Deutschland - Respektsperson oder Fußabtreter? Zweifellos sehen die meisten Deutschen die Tätigkeit der Polizei positiv, die einstigen Ängste vor einem "Polizeistaat" sind deutlich geringer als der Wunsch nach mehr uniformierter Präsenz im öffentlichen Raum. Doch auch Missachtung und tätliche Angriffe auf Beamte im Dienst nehmen zu. Als Arbeitgeber wird die Polizei immer unattraktiver. Vor allem in bestimmten Problembezirken Deutschlands sieht die Gewerkschaft der Polizei ihre Kolleginnen und Kollegen alleingelassen. "Wir verlieren immer mehr die Hoheit auf der Straße", sagen viele. Immer massiver prangern sie die Missstände an und fordern Respekt und mehr Unterstützung. Ein Beispiel: Duisburg-Marxloh. Seit den 90er Jahren schwer getroffen durch den Niedergang der Stahlindustrie. Von den 20 000 Einwohnern ist jeder Fünfte arbeitslos. Ein Drittel lebt von Hartz IV, zwei Drittel haben einen Migrationshintergrund. Drogen, Prostitution und Schutzgelderpressung gehören hier zum Alltag. Mehrere kriminelle libanesische Großfamilien sind laut einem internen Polizeipapier in Marxloh aktiv. Von "No-go-Area" spricht hier zwar offiziell niemand. Doch in Einzelstreife gehen Polizisten schon lange nicht mehr durch das Viertel. "Die Täter sind kommunikativ nicht mehr zu erreichen", heißt es im Polizei-Jargon. Im Klartext: Taucht Polizei auf, mobilisierten sich in Windeseile Hunderte junger Männer zwischen 15 und 25 Jahren, um die Polizei einzuschüchtern oder sogar aggressiv anzugehen. Sie sind fast ausnahmslos polizeibekannt und erkennen die Autorität des Staates nicht an. Wenn sich so etwas auf der Weseler Straße und ihren Nebenstraßen, dem "Hotspot" Marxlohs, zusammenbraut, dann lautet die Devise: Rückzug! Eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates? Auch die Bürger reagieren auf die zunehmende Machtlosigkeit der Polizei, kaufen Pfeffersprays, beantragen kleine Waffenscheine. Drohen uns immer mehr Bürgerwehren und Selbstjustiz? Und wie sieht es abseits der Problemviertel aus? Alle drei Minuten wird irgendwo in Deutschland eingebrochen. Nicht immer in wohlhabenden Gegenden, sondern häufig in Wohnungen von Menschen, die selbst wenig besitzen. Bremerhaven, eine der ärmsten Städte Deutschlands. Statistisch gesehen eine Einbrecher-Hochburg. Aber anders als im Rest der Republik sind die Täter meist nicht Mitglieder osteuropäischer Banden, sondern Bremerhavener. Drogenabhängige. Verschuldete Jugendliche ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung. Häufig geht es nur darum, schnell ein paar Hundert Euro aufzutreiben. Erleichtert werden die Taten dadurch, dass ein Tablet einfacher zu klauen ist als ein Röhrenfernseher. Und dass die Versuchung größer ist, wenn man wenig hat und mit der Konsumgesellschaft Schritt halten will. Seit wieder mehr Streifenpolizisten in der Stadt unterwegs sind, gehen die Einbruchszahlen zurück. Doch dauerhaft ist das nur mit mehr Personal zu leisten. Welchen Effekt mehr Einsatzkräfte und eine gute Polizeiarbeit haben, zeigt das Beispiel der SOKO "Castle" in Hamburg. 9000 Einbrüche hat die Kriminalstatistik der Hansestadt allein für das Jahr 2015 gezählt - ein Plus von 20 Prozent zum Vorjahr. Seit einem Jahr jagt die Sonderkommission mit großer personeller Besetzung Serieneinbrecher. Die 100 Ermittler der Sonderkommission haben sich auf Täter spezialisiert, die in Gruppen und überregional aktiv sind. Das Team um Chefin Alexandra Klein übernahm seit seiner Gründung knapp 700 Fälle. Die Aufklärungsquote: beeindruckende 61 Prozent. Die Debatte um die innere Sicherheit Deutschlands, so scheint es zumindest, war in den vergangenen Jahren vor allem durch den Terrorismus geprägt. Das hatte zur Folge, dass auch die Polizei verstärkt zur Terrorbekämpfung eingesetzt wurde. Doch wie gut ist die Polizei dafür gerüstet? Immerhin: Mindestens elf Anschläge in Deutschland wurden bislang vereitelt oder schlugen fehl. Das Ergebnis guter Polizeiarbeit oder auch ein Verdienst von "Kommissar Zufall"? Ob neues Zivilschutzkonzept, Gesichtserkennung, Rucksack- und Burka-Verbot: Die deutsche Politik überschlägt sich mit Ideen gegen Terrorgefahr und Islamismus. Aber wird der Polizei-Etat für all diese neuen Aufgaben auch entsprechend aufgestockt? Bundesweit hat die Polizei laut Gewerkschaftsangaben allein im vergangenen Jahr etwa 20 Millionen Überstunden angehäuft, wegen der Mehrbelastung durch Flüchtlinge und die Terrorgefahr, Groß-Demos und Fußballspiele. Wo bleibt da noch Zeit für die ganz "klassische" Polizeiarbeit, vom Schlichten des Nachbarschaftsstreits bis zur Alkoholkontrolle am Straßenrand? Viele Bundesländer haben jahrelang Stellen bei der Polizei abgebaut - eine Politik, die sich heute rächt.

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