Vom Jugendstil zur Moderne - Die Architektur des 20. Jahrhunderts

Vom Jugendstil zur Moderne - Die Architektur des 20. Jahrhunderts

Von nichts sind wir so unentrinnbar umgeben wie von Architektur. Unsere Strassen und Plätze, unsere Gebäude, unsere Wohnungen ... alles Architektur. Sie beeinflusst vermutlich unser alltägliches Leben noch viel stärker als Musik, Literatur oder Malerei. Die Qualität von Architektur ist daher von direkter und existentieller Bedeutung für uns.

Die Architektur des 20. Jahrhunderts entstand nicht von heute auf morgen. Sie unterlag einer fließenden Entwicklung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand ein Stil als besonders prägend im Vordergrund, der Jugendstil. Im Zentrum von Brüssel wird 1903 das Kaufhaus Wauquez gebaut. Das Gebäude ist Ausdruck einer Sehnsucht die zu Beginn des Jahrhunderts von vielen Menschen geteilt wird, zurück zur Natur, zum Ursprünglichen. Durch das weit gespannte Glasdach durchdringt das Licht das ganze Haus das nur wenige tragende Zwischenwände hat. Es ist eine, für die damalige Zeit, kühne Architektur die Bewegung in die erstarrten Formen bringt. "Warum sollte ein Architekt nicht ebenso kühn und ebenso unabhängig sein wie andere Künstler ?" Diese Frage beantwortet sich der Architekt Victor Horta selbst. Der "Art Nouveau", der "Jugendstil" wird von ihm in Vollkommenheit verwirklicht.

Das vielleicht schönste Beispiel des spanischen Modernismo, der Palau de la Musica Catalana, ein Palast zu Ehren der katalanischen Musik, findet sich mitten im engen Gewirr von Barcelonas Altstadt. Ein hymnisches Gebäude, gebaut für den in der Volksseele verwurzelten Gesang, in dem sich musische Ideale mit politischen Ideen verbinden. Die Grundsteinlegung des Palau ist 1905. Industrielle finanzieren das Gebäude. 1908 wird der Palau mit einem Konzert von Richard Strauss eröffnet. Die Formensprache des Jugendstils verkam spätestens nach dem ersten Weltkrieg zur Spielerei.

In den Niederlanden wurde während des ersten Weltkriegs die Künstlergruppe "De Stijl" gegründet. Zu den Mitgliedern der ersten Stunde zählte auch der Maler Piet Mondrian. "De Stijl" proklamierte die ausschließliche Verwendung von Grundfarben und Grundformen. Ein anderes Mitglied von "De Stijl" ist der Architekt Gerrit Rietveld, ein gelernter Kunsttischler. "Wir mussten zu einer neuen Sprache für die Formen der Architektur kommen, zu neuen Buchstaben, neuen Worten, neuen Sätzen." 1924 baut Gerrit Rietveld in der bürgerlichen Kleinstadt Utrecht ein kleines Haus mit 125 Quadratmetern Wohnfläche. Es wird zu einer Ikone des Purismus und ist heute ein Weltkulturerbe. Truus Schröder, eine früh verwitwete Anwaltsgattin, der die bürgerliche Welt mit ihrer fest gefügten Ordnung wie ein Zerrbild erscheint, beauftragt Rietveld mit dem Entwurf ihres Hauses. Schröder fühlt sich in der spießigen Welt Utrechts als Gefangene, sie will ein anderes, ein radikales Leben, und dies soll sich auch in dem neuen Haus ausdrücken. Es manifestiert ihr gemeinsames Denken und Empfinden und ist das Dokument einer Lebensbeziehung.

Eine der negativen Konsequenzen der Industrialisierung war das unkontrollierte Wachstum der Großstädte. Als Reaktion darauf entwickelte sich in Großbritannien, dem um die Jahrhundertwende am meisten industrialisierten Land, die Idee der Gartenstädte. Durch sie sollten sich die negativen sozialen Auswirkungen des wirtschaftlichen Erfolgs zumindest mindern lassen. Schon bald kam diese Idee auch nach Deutschland. In Berlin wurden einige dieser "Gartenstädte" zum Weltkulturerbe erklärt. Der Architekt Bruno Taut baute die Gartenstadt Falkenberg und die Hufeisensiedlung. Hans Scharoun die Siedlung Siemensstadt. Siemensstadt wird, in den Jahren zwischen den Weltkriegen, zu einem prägenden Vorbild im internationalen Städtebau. Baugeschichtlich ist es freilich von Siemensstadt nur ein kleiner Schritt zum sozialen Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Büro des Berliner Architekt Peter Behrens lernten einige der wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Mies van der Rohe ebenso wie Le Corbusier oder Walter Gropius. Dessen erstes eigenständiges Gebäude war das Faguswerk im niedersächsischen Alfeld. 1919 gründete Walter Gropius in Weimar das Bauhaus. Wie groß dessen Einfluss bis heute ist, sieht man daran, dass der Begriff "Bauhaus" als Synonym gilt für die "Moderne" in Architektur und Design. In seinem Bauhaus-Manifest verkündete Gropius: "Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers." Das Vorbild für diese Verbindung von Kunst und Handwerk sah Gropius in den mittelalterlichen Bauhütten bei den Kathedralen. Das Zusammenwirken der verschiedenen Künste sollte auch eine Veränderung hervorrufen, weg von der aktuellen sozialen Realität, hin zu einer veränderten, erneuerten Gesellschaft. Auch dafür sah sich das Bauhaus als Versuchslabor. Und das war natürlich revolutionär im damaligen Weimar. Zu revolutionär: 1925 musste das Bauhaus umziehen, nach Dessau. Dort verwirklichte Gropius die Idee des Bauhaus mit einem Lichtkubus. Ohne diesen Kubus wäre der Mythos Bauhaus vielleicht nie entstanden. Unter der Leitung von Mies van der Rohe entstand die Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Sie war Teil der Werkbundausstellung "Die Wohnung". 17 Architekten sollten 21 Häuser mit 63 Wohnungen entwerfen. Sein Meisterstück baut Mies van der Rohe aber nicht in Stuttgart sondern in Brünn. Das Haus Tugendhat wird zu einem Schlüsselwerk des Neuen Bauens.

Der offene Grundriss erzeugt hier einen Raum, der auch vor der Natur nicht halt macht. Eine riesige Glasfront hält den permanenten Dialog zwischen Architektur und Natur in Gang. Mies Leidenschaft für hochwertige und haltbare Materialien sind in diesem Bau keine Grenzen gesetzt, Geld spielt bei den Tugendhats keine Rolle. Sie können sich auch den verschwenderischen Einsatz kostbarer Tropenhölzer ebenso leisten wie eine monumentale Onyxwand.

Neben Mies van der Rohe und Walter Gropius gilt der Schweizer Le Corbusier als Vater der Moderne. Er träumte von einer "Synthese der Künste". Seine Häuser nannte er "Maschinen zum Wohnen". In der Stuttgarter Weißenhofsiedlung wurde eine seiner "Wohnmaschinen" originalgetreu wieder aufgebaut. Ein funktionaler Raum zum Schafen und Wohnen. Die "Individualräume" wie Le Corbusier sie nannte, sollten auf das absolut Notwendige reduziert werden. Und so gestaltete er diese Wohnung nach dem Vorbild der Schlaf- und Salonwagen der Eisenbahnen. Während seiner Ausbildungszeit arbeitete Le Corbusier bei Auguste Perret und dieser Architekt durfte nach dem Zweiten Weltkrieg Le Havre vollkommen neu aufbauen. Le Havre in der Normandie. Über Jahrhunderte ein europäischer Auswandererhafen. Am 6. September 1944 wird Le Havre von englischen Bombern dem Erdboden gleichgemacht. 5000 Menschen sterben. Mehr als die Hälfte aller Gebäude zerstört. Die komplette Infrastruktur der Hafenstadt existiert nicht mehr. Keine Stadt wird so entschieden wieder aufgebaut wie Le Havre. Der französische Staat reagiert kompromisslos. Eine Rekonstruktion ist nicht mehr möglich. Mit dem Masterplan eine neue urbane Einheit zu bauen wird Auguste Perret beauftragt. Perret ist da schon 71 Jahre alt, ein anerkannter Architekt und ein Meister des Beton.

Der Traum fast aller Architekten ist es, eine ganze Stadt nach ihren Vorstellungen bauen zu können. Auguste Perret war dies vergönnt, ebenso wie Oscar Niemeyer. Er entwarf die wichtigsten Gebäude der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Mit seinen Bauwerken wollte er "das alltägliche Glück ins flüchtige Leben" bringen. Das Credo des bekennenden Kommunisten: "Wir müssen die Welt verändern". Wenn Le Corbusier, mit dem der Brasilianer schon in den dreißiger Jahren zusammen gearbeitet hat, dem rechten Winkel huldigte, so ersetzte Niemeyer die Rechtecke durch elegant geschwungene Linien. Dadurch schuf er extravagante, kapriziöse Gebäude. Das Bauhaus hat Niemeyer verachtet. Mit seinen monotonen Regeln habe es die Entwicklung der Architektur verhindert.

Der dänische Architekt Jörn Utzon sagte einmal "Das Wunderbare daran Architekt zu sein, liegt darin für Menschen etwas zu schaffen, was sie mögen und lieben. Das habe ich immer im Sinn." Wie die benachbarte Harbour Bridge wurde das Opernhaus von Sydney zu so etwas wie dem Markenzeichen der Stadt. Die visuelle Skulptur wird zum kulturellen Mittelpunkt der Nation. 2007 wird es zum Weltkulturerbe ernannt und damit als eine der großen architektonischen Leistungen des 20. Jahrhunderts anerkannt. Utzon bezeichnete die Dachkonstruktion des Opernhauses als die fünfte Fassade. Ohne Zweifel ist es eine der bekanntesten Fassaden der Welt. Der Architekt Louis Kahn sagt beim Anblick des Opernhauses: "Die Sonne wusste nicht wie wunderschön ihr Licht war, bis es von diesem Gebäude gespiegelt wurde."

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