Verlorene Ehre
Sie musste sterben, weil sie lebte wie eine Deutsche: Aus verletzter Familienehre griff Ayhan Sürücü am 7. Februar 2005 zur Waffe und erschoss seine Schwester Hatun an einer Bushaltestelle in Berlin. Die Tat ist Deutschlands bekanntester Ehrenmordfall und hat eine Debatte über Parallelgesellschaften angestoßen. Der Ehrenmörder sitzt in Haft. 'Ja, es war ein Ehrenmord. Ich war damals regelrecht besessen', sagt Ayhan Sürücü. 'Ich bin mit ihrem Lebensstil nicht klargekommen, konnte das damals einfach nicht tolerieren.' Über seine tote Schwester kommt ihm auch heute noch kein gutes Wort über die Lippen. Doch er sagt auch: 'Damit klarzukommen, ist extrem schwer. Es gibt von Zeit zu Zeit Phasen, in denen alles wieder hochkommt. Ich weiß, dass ich mit dieser Tat meiner Schwester das Leben und meinem Neffen die Mutter genommen habe.' Der Bruder des Mörders, ein strenggläubiger Moslem, der die Tatwaffe besorgt haben soll, wird bis heute mit internationalem Haftbefehl gesucht und ist nach Istanbul geflohen. Er sagt: 'Unzucht ist eine Straftat. Nach Allahs Gesetz wäre die Strafe für Unzucht die Steinigung.' Melek A., die Hauptbelastungszeugin und damalige Freundin des Mörders, die heute mit neuer Identität im Zeugenschutzprogramm lebt, ist überzeugt, dass der Ehrenmord ein Familienbeschluss war. Der Mörder selbst habe es ihr erzählt: 'Die waren alle dabei. Ich bin mir 100-prozentig sicher.' Die Dokumentation 'Verlorene Ehre' begibt sich in Berlin, Istanbul und Ostanatolien auf eine filmische Suche nach den Sürücüs und Freunden der Familie - eine Reise in die viel zitierten Parallelwelten.