Unsichtbare Mütter

Unsichtbare Mütter

Hafida lebt mit ihrem kleinen Sohn allein in Tanger. Als sie schwanger wurde, begannen die Probleme: Der Vater ihres Kindes wollte sie nicht heiraten, ihr eigener Bruder stellte sich gegen sie. Im Frauenhaus der Nichtregierungsorganisation «100% Mamas» fand sie Unterschlupf und traf andere Frauen mit ähnlichen Geschichten. Heute arbeitet sie als Gesundheitserzieherin für die Organisation und kommt dank dem bescheidenen Lohn über die Runden. Vor allem hat sie eine Perspektive gefunden und ihre Würde zurückgewonnen. Ähnlich wie Hafida geht es vielen Frauen in Marokko.

In Marokko ist Sex ausserhalb der Ehe illegal. Das Gesetz sieht dafür Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr vor. Schuldig sind allerdings immer die Frauen. Auch wenn es selten zu einer Verurteilung kommt - bestraft werden sie und ihre Kinder trotzdem, weil ihre Familien sie verstossen. In einer Gesellschaft, die sie verachtet, müssen sie sich allein durchschlagen.

Wenn sie Glück haben, finden sie Unterschlupf in einem der wenigen Frauenhäuser, die in Marokko ledige Mütter unterstützen. Eines davon wird vom Verein «100% Mamas» betrieben. Gegründet wurde die Organisation 2006 durch die Französin Claire Trichot, die zuvor bei einer Vereinigung für Strassenkinder arbeitete. Ausschlaggebend war für sie der Besuch einer 16-Jährigen, die ihr Baby bei ihr abgab. Als sie vergeblich versuchte, für die junge Mutter ein Zimmer zu finden, realisierte sie, dass sie den ledigen Müttern helfen musste, um das Problem der ausgesetzten Kinder lösen zu können.

Das Frauenhaus befindet sich inmitten von Tanger. Es kann 20 schwangere Frauen aufnehmen, die in einer Gemeinschaft zusammen wohnen und kochen. Neben der medizinischen Versorgung lernen sie, was es heisst Mutter zu sein, und besuchen Kurse, die ihnen bei der Arbeitssuche helfen sollen. Einige arbeiten auch für den Verein, sei es als Babysitter oder indem sie Workshops für Sexualkunde geben. Wie Hafida. In Fabriken und Schulen gibt sie Kurse in Sexualkunde - einem Fach, das es in Marokko eigentlich gar nicht geben darf. Entsprechend unwissend sind Hafidas Schülerinnen und Schüler. Immerhin ist es ein erster Schritt, dass solche Kurse überhaupt durchgeführt werden können.

Hafida weiss, dass ihre Arbeit nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist und sie damit die marokkanische Gesellschaft nicht verändern kann. Das erlebt sie auch selber schmerzlich, als sie mit ihrem Sohn in ihre Heimatstadt fährt, um ihre Eltern zu besuchen, aber aus Angst vor ihrem Bruder in einem Hotel übernachtet. Er ist nach wie vor überzeugt, Hafida habe Schande über die Familie gebracht.

Nach Schätzungen von NGO's ergeht es jährlich 30 000 Frauen ähnlich wie Hafida. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihren Weg weitgehend alleine zu gehen.

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