Über das Meer in die Freiheit

Über das Meer in die Freiheit

21. September 1974: Vor den Augen von Erhard Schelter ist der freie Horizont über der Ostsee, über ihm ein dichter Busch aus Pestwurzblättern, hinter ihm steht ein Wachturm der DDR-Grenzer an der Steilküste von Boltenhagen. Schelter ist entschlossen, schwimmend der DDR zu entkommen. Sein Ziel ist der Leuchtturm Dahmeshöved in Schleswig-Holstein. In der Dämmerung robben der 34 Jahre alte Schelter und sein zehn Jahre jüngerer Freund Volker Hameister über den Strand ins Wasser.
Ihre Flucht über die Ostsee beginnt. Den ersten Kilometer legen sie schnorchelnd unter Wasser zurück, dann erst schalten sie die Taschenlampe ein, um einen Blick auf ihren Kompass zu werfen. Draußen geht eine hohe Dünung. Auf dieses Wetter haben die Männer wochenlang gewartet. Sie hoffen auf eine Meeresströmung, die sie auf die andere Seite der Lübecker Bucht bringen wird. Mit einer Leine sichern sie sich gegenseitig.
Nach einer Stunde im elf Grad kalten Wasser bemerken die Flüchtenden, dass hinter ihnen an der Küste starke Scheinwerfer die Wasserfläche ableuchten. Später werden sie erfahren, dass ihre Flucht bereits entdeckt worden ist. Im zurückgelassenen Auto des Freundes wurden Erhard Schelters Betriebsausweis und sein Hausschlüssel gefunden. Jetzt sitzt den Flüchtenden die Angst im Nacken. Sie schwimmen mit vollem Einsatz. Draußen ist hoher Seegang. Zwischen Gischt und Wellenbergen droht ihnen der Verlust der Orientierung.
Nach weiteren zwei Stunden ist Volker Hameister am Ende seiner Kräfte - er wird ohnmächtig. Erhard Schelter legt dem Erschöpften einen Schwimmkragen um und schleppt ihn an der Leine durch die Ostsee.
Am frühen Morgen werden Schelter und Hameister von den Passagieren einer Skandinavien-Fähre im Wasser entdeckt. Der Kapitän dreht bei, lässt ein Rettungsboot zu Wasser. Gleichzeitig nähert sich ein Vorpostenboot der Nationalen Volksarmee den beiden Schwimmern. Der Fluchtversuch droht im letzten Augenblick zu scheitern. Da meldet sich per Bordlautsprecher der westdeutsche Kapitän der Fähre und herrscht die DDR-Soldaten an, die Rettung der beiden Schwimmer in internationalen Gewässern nicht zu behindern. Mit einem waghalsigen Manöver drängt der Kapitän die DDR-Boote ab. Erhard Schelter und Volker Hameister werden gerettet.
Erhard Schelter heuert später bei der Reederei als Schiffselektroniker an und fährt bis heute auf Fähren über die Ostsee. Seine Frau und seinen Sohn musste er in der DDR zurücklassen.

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