Samen-Hauptstadt Quedlinburg

Samen-Hauptstadt Quedlinburg

Weltruhm hat Quedlinburg nicht nur wegen seiner wunderschönen Fachwerkhäuser erlangt, sondern auch als Hauptstadt der Saatgutzüchtung. "Wir waren die Besten auf dem Weltmarkt, 65 Prozent des Saatguthandels waren zu DDR-Zeiten in unserer Hand", erinnert sich Pflanzenzüchter Rolf Bielau. 100 Betriebe von der Ostsee bis zum Erzgebirge gehörten zum VEB "Saat - und Pflanzgut Quedlinburg". Die Hauptaufgabe: die DDR-Bevölkerung mit Samen für frisches Obst und Gemüse versorgen. Am Fließband kamen immer neue und robustere Sorten auf dem Markt: die Erdbeere "Aurora", die zweimal trägt, die Hausgurke "Saladin", die Erbse "Muck", der "Dickkopf"-Salat und natürlich die legendäre Tomate "Harzfeuer". Die ist ein Knüller bis heute, inzwischen in Ost und West. Züchter Christoph Kleinhanns schwärmt: "Sie ist aromatisch-süß, robust gegenüber Krankheiten und wächst eben auch in rauen Harzlagen." - Angefangen hat alles vor rund 200 Jahren im Abteigarten. Besucher liebten die vielen bunten Blumenfelder in und um Quedlinburg. Das Wissen der Gärtner, das ideale Klima im Regenschatten des Harzes und der fruchtbare Boden waren der ideale Nährboden für die Samenzucht. Immer mehr kleine und große Betriebe entstanden, wie die Dippe AG. Seltene Filmaufnahmen aus der Zeit zeigen die Dimension und Bedeutung des Betriebes. Für die Angestellten entstanden die sogenannten Dippe-Häuser, solide Backstein-Bauten. Sie prägen bis heute das Stadtbild, ebenso wie die prachtvollen Gründerzeitvillen der Samenzüchter, die die Welterbe-Fachwerkhäuser wie ein Gürtel umschließen. "Ohne Saatgut wäre die Stadt nicht das, was sie heute ausmacht. Die wirtschaftliche Blütezeit bescherte Arbeit und Wohlstand", so Simone Bahß von der Stadt Quedlinburg.
Nach 1945 konnte das neu formierte Kombinat an die Erfolge anknüpfen und exportierte an alle Welt. Und Saatgut aus Quedlinburg wurde an jeder Datsche und in jedem Schrebergarten in die Erde gebracht. Doch mit der Wende kam das Aus. Samenzüchter aus Westdeutschland, Holland und der Schweiz gaben sich die Klinke in die Hand und kauften die Markenrechte. "Der ostdeutsche Saatgutmulti wurde ausgeschlachtet, abgewickelt, plattgemacht", erinnert sich Zeitzeuge Helmut Gäde.
Heute sind noch vier kleine Betriebe am Markt. Zudem setzt das Julius-Kühn-Institut die über hundertjährige Tradition der Pflanzenzüchtung in Quedlinburg fort.

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