Marseille - Eine Stadt in Not

Marseille - Eine Stadt in Not

Filmemacher Philippe Pujol wuchs unweit von La Butte Bellevue auf, dem ärmsten Stadtviertel Frankreichs im Herzen von Marseille. Der Beamtensohn spielte mit den Kindern von Hafenarbeitern und Arbeitslosen. In Butte Bellevue wohnte auch sein Klassenkamerad Raphaël, ein Rom. Wenn sie mit ihrer Klasse zum Sportunterricht in das dortige Stadion gingen, nahm ihn Raphaël mit einer Mischung aus Stolz und Scham zu seinem Wohnhaus mit, wo man die Armut geradezu spüren konnte. Vor der Tür lungerte oft ein schmutziger Junge mit zu großer Gitarre herum, der ihnen mit erstauntem und zornigem Blick folgte. Er sah schön und gefährlich aus - Raphaëls kleiner Bruder. Letztes Jahr erfuhr Philippe, dass Raphaël bei einem Bandenstreit erstochen wurde. Der Tod des Schulkameraden brachte ihn zurück nach Marseille. La Butte Bellevue ist inzwischen noch mehr verarmt, während in 200 Meter Luftlinie das moderne, hässliche Marseille sich ausbreitet wie ein Krake. Eine schöne neue Welt, die die armselige Vergangenheit einfach wegschieben soll. Die Einwohner von La Butte sehen dort drüben alles, was sie selbst nicht haben: Arbeit, zum Beispiel im Büroturm des Schifffahrtsunternehmens CMA CGM; Zugang zu Universität und Studentenwerk in der Rue Danton; einigermaßen anständige Wohnungen in den großen tristen Häuserklötzen mit den winzigen Fenstern und vielen Stockwerken, die in Marseille wie Pilze aus dem Boden sprießen. In La Butte Bellevue aber haben die Leute, was dem neuen Marseille fehlt: eine unglaubliche kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt; verschiedene Akzente, Sprachen und Lebensweisen; Kreativität und Erfindungsgeist; Komorer im Businessanzug, scheinbar alterslose Italienerinnen und kumpelhafte Dealer; Jungs mit provokanten T-Shirts des Fußballclubs Paris Saint-Germain und den größten Fanclub des lokalen Vereins Olympique de Marseille; großartige Prügeleien und warmherzige Schwätzchen auf dem Gehsteig einer schmutzigen Straße, in einem ruhigen Garten oder Hinterhof; Ex-Häftlinge, Sänger, Migranten, Spieler, arme Schlucker, kleine Wunder, Aktivisten und ehemalige Aktivisten, Säufer, Kommunisten und Pfarrer. "Marseille - Eine Stadt in Not" erzählt nicht nur von den Spannungen und Schwierigkeiten, die die Armut hervorbringt, sondern auch der positiven Energie, mit der viele Bewohner der südfranzösischen Metropole tagtäglich ihr Leben meistern.

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