Jesus von Cannstatt

Jesus von Cannstatt

Beim ersten Paukenschlag geht es los. Die Prozession in Cannstatt setzt sich in Bewegung. 'Jetzt ist er ein anderer Mensch, er ist wie in Trance, ich weiß, ich darf ihn jetzt nicht ansprechen', sagt Teresa Annunziata. Ihr Mann Michele verkörpert Jesus. Seit 30 Jahren veranstaltet die Italienische Gemeinde des Stuttgarter Vororts die Karfreitagsprozession, seinerzeit die erste ihrer Art in Deutschland. Michele spielt Jesus zum zweiten Mal. Die kurzen Haare waren letztes Mal ein Diskussionsthema, deshalb lässt er sich diesmal künstlich die Haare verlängern, beim Friseur. 'Wir zeigen den Menschen, was wirklich passiert ist. Wenn ich in das Jesus-Gewand schlüpfe, bekomme ich Gänsehaut. Ich versuche so zu empfinden, wie Jesus es getan hat. Ich sehe die Menschen, die ergriffen zuschauen. Manche weinen'. Auch Teresa hat eine Rolle im Passionsspiel: sie ist die Chronistin, erzählt dem Publikum was gerade passiert. Michele und Teresa bezeichnen sich als gläubig, aber sie seien keine wirklichen Kirchgänger. Bei Tisch beten sie jedoch mit ihrem kleinen Sohn Emanuele und wenn sie aus dem Haus gehen, bekreuzigen sie sich. 100 Frauen, Männer und Kinder nehmen an der Prozession teil, nicht nur Italiener, sondern auch Deutsche: Ostern spielt in Italien eine wesentlich größere Rolle. Die Karfreitagsprozession in Bad Cannstatt gibt nicht nur den Italienern etwas von ihrem Heimatgefühl zurück, sie macht auch für uns Ostern zu einem ganz persönlich erlebbaren Fest.

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