Gysi

Gysi

Ein Auftritt im Herbst 1989: Gregor Gysi strahlend mit einem riesigen Besen in der Hand. Angetreten, um die verkommene DDR-Staatspartei SED aufzuräumen. Das berühmte Bild zeigt ihn als Hoffnungsträger, frisch und unbelastet. Einer, der reden kann, schlagfertig und witzig ist, fürs Rampenlicht geboren. Ganz anders als die Partei-Apparatschiks. Von den einen wurde er verehrt und geliebt; von den anderen gehasst. So ist es bis heute.

Gysi war nicht der junge Nobody ohne Vergangenheit. Parteimitglied seit mehr als zwanzig Jahren, Kontakte in die höchsten Staatszirkel. Als Vorsitzender des Kollegiums der DDR-Rechtsanwälte gehörte er zur Funktionärselite des Staates. Manche sahen in ihm einen Kader auf dem Weg nach ganz oben. Auch wegen seiner Herkunft.

Die Gysis sind eine der faszinierendsten Familien des Landes. Beide Eltern stammten aus großbürgerlichen, ja aristokratischen Häusern und machten trotzdem Karriere in der kommunistischen Elite. Der Vater Klaus Gysi brachte es zum Kultusminister der DDR, loyal und kritisch zugleich. Ohne seine Herkunft aus diesem außergewöhnlichen Elternhaus lässt sich Gregor Gysi nicht begreifen.

Zum Beispiel der Rechtsanwalt Gysi, der in politischen Prozessen Dissidenten verteidigte und doch loyal zum DDR-Staat war - so wie es ihm der Vater vorgelebt hat. Oder der SED-Vorsitzende Gysi, der seine Partei verurteilte und sie dennoch unbedingt retten wollte - es war schließlich die Partei seiner Eltern. Oder der Linken-Politiker Gysi, der auf Parteiversammlungen die Verstaatlichung der Banken forderte und am nächsten Tag im Aachener Karneval vor der westlichen Bourgeoisie den charmanten Unterhalter gab. Der im Osten ungebremst gegen die BRD polemisierte und sich nirgendwo wohler zu fühlen scheint als in den westlichen Talkshows.

Gregor Gysi ist ein Grenzgänger, der für viele seltsam ungreifbar wirkt. Einer, der seinen Lieblingsort einmal als "zwischen den Stühlen" bezeichnet hat. Ein Mann der Widersprüche. Der größte Widerspruch ist sein Verhältnis zur DDR-Staatssicherheit. Gegen den Vorwurf, er habe als Inoffizieller Mitarbeiter seine Mandanten verraten, hat er oft und erfolgreich prozessiert. Dennoch wirft die Aktenlage im Stasi-Archiv Fragen auf.

In ihrem 90-minütigen Porträt zeichnen Nicola Graef und Florian Huber Gysis Aufstieg in der DDR nach, seine Rolle als Verteidiger von Dissidenten und gleichzeitig Chef aller DDR-Anwälte. Sie zeigen seinen kometenhaften Aufstieg zum Parteipatron der Linken und "Volkstribun" der Ostdeutschen, aber auch den Hass, der ihm auf der Straße wie im Bundestag entgegen schlug. Und sie lenken den Blick immer wieder auf das für ihn prägende Milieu seines Elternhauses.

Bewertung

0,0   0 Stimmen