Eiskalte Spur - Die Göhrde-Morde und die verschwundene Frau

Eiskalte Spur - Die Göhrde-Morde und die verschwundene Frau

Recht und Kriminalität 

Die Geschichte klingt, als sei sie der Fantasie eines Krimiautors entsprungen. Doch sie ist wahr. Es ist die Geschichte von einem Polizisten, der nie aufgegeben und nach 28 Jahren ein Rätsel in mehreren Mordfällen gelöst hat, an dem vor ihm schon viele gescheitert waren.

Mit bisher unveröffentlichtem Material zeigt diese exklusive Dokumentation eindrucksvoll, wie mühevolle Ermittlungsarbeit zu einem der brutalsten Serienmörder Deutschlands führte. Zu dem Mann, der auch hinter den rätselhaften Göhrde-Morden steckt, die nicht nur die Menschen in Norddeutschland erschüttert haben.

Wolfgang Sielaff hatte eine der mächtigsten Positionen der Hamburger Polizei inne. Als LKA-Chef hat er Kriminalgeschichte geschrieben und bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Im Fall seiner vermissten Schwester war er jahrzehntelang allerdings der "ohnmächtigste" Polizist. Die wohlhabende Unternehmersgattin Birgit Meier verschwand 1989 in Lüneburg im benachbarten Bundesland Niedersachsen. Hier hatte Wolfgang Sielaff keine Handlungsmöglichkeiten, Polizeiarbeit ist Ländersache. Er versuchte zwar aus der Ferne, die Kolleginnen und Kollegen in Niedersachsen zu effizienter Ermittlungsarbeit zu drängen. Immer wieder aber musste er erleben, dass erhebliche Pannen passierten. Nur wenige Polizisten, die mit dem Fall betraut waren, haben beherzt ermittelt. Birgit Meier blieb verschwunden.

Von der Polizei verdächtigt wurde ihr Mann Harald Meier, von dem sie zum Zeitpunkt des Verschwindens getrennt lebte. Er hatte sie am Vorabend ihres Verschwindens als Letzter lebend gesehen und kein Alibi für die Nacht. Bald schon war die Polizei der Meinung, Harald Meier könnte seine Frau umgebracht und beseitigt haben, um Geld zu sparen.

Die Ermittlungen um Birgit Meiers Verschwinden gerieten immer wieder ins Stocken. Das hatte einen Grund: Kurz zuvor waren zwei spektakuläre Doppelmorde in der Region geschehen, die die Polizei beschäftigten und in der Bevölkerung für Beunruhigung sorgten: Im Staatsforst Göhrde vor den Toren Lüneburgs wurden im Sommer 1989 zwei Pärchen gefesselt und grausam ermordet aufgefunden. Der Täter musste extrem kaltblütig gewesen sein. Denn an dem Tag, an dem die Polizei die ersten Leichen fand, tötete er nur 700 Meter entfernt das zweite Pärchen. Unbemerkt von den Beamten, die dort den ersten Tatort sicherten. Später entdeckten die Ermittler die Autos der Opfer: Der Täter war noch einige Tage mit ihnen gefahren und hatte sie dann unauffällig abgestellt.

Die Polizei steckte jeden verfügbaren Kriminalisten in die Sonderkommission "Göhrde". Dadurch verlor der Vermisstenfall Birgit Meier an Beachtung. Ein dramatischer Fehler, wie sich fast drei Jahrzehnte später gezeigt hat. Denn der Mörder von Birgit Meier war auch der Göhrde-Mörder.

Wolfgang Sielaff versuchte mehrfach, die ermittelnden Beamten in Lüneburg auf offene Fragen und Widersprüche aufmerksam zu machen. Doch nur wenige Ermitttler suchten im Fall Birgit Meier nach neuen Verdächtigen. Dabei drängte sich ein Mann als Tatverdächtiger geradezu auf: Kurt-Werner Wichmann, ein wegen Vergewaltigung, versuchten Totschlags und weiterer Delikte vorbestrafter Friedhofsgärtner. Er kannte Birgit Meier, hatte mehrfach Kontakt zu ihr. Es vergingen Jahre, ehe die Ermittlungsbehörden diese Spur ernst nahmen und schließlich mit einem Durchsuchungsbefehl vor Wichmanns Tür standen.

Doch die Beamten machten bei der Durchsuchung einen fatalen Fehler. Sie kamen morgens, als der Verdächtige schon zur Arbeit gefahren war. Nur seine Frau Alice war zu Hause. Die Beamten riefen Wichmann im Büro an und baten ihn, nach Hause zu kommen. Er sagte zu. Und tauchte unter. Im ersten Stock des Hauses fanden die Beamten ein abgeschlossenes Zimmer mit schallisolierter Tür, zu dem Alice Wichmann keinen Zutritt hatte. In Geheimverstecken entdeckten sie Kleinkaliberwaffen, Schalldämpfer, Messer, Elektroschocker, Dolche, Betäubungsmittel, Spritzen, Fesseln und jede Menge Munition. An einem Paar Handschellen erkannten sie einen eingetrockneten, reiskorngroßen Blutspritzer. Wochen später rückte das BKA an und durchsuchte das gesamte Grundstück. Im steilen Hang hinter dem Haus fanden die Beamten einen Sportwagen, komplett vergraben. Der Leichenspürhund schlug am Kofferraum an.

Es passierten weitere Pannen. Wochen nach seiner Flucht wurde Kurt-Werner Wichmann schließlich in Süddeutschland festgenommen. Er hatte einen Verkehrsunfall verursacht. Die Polizisten in Heilbronn konnten bei der Überprüfung seines Autos eine auseinandergebaute Maschinenpistole und 1.000 Schuss Munition sicherstellen. Wichmann kam in Untersuchungshaft. Wenige Tage später erhängte er sich in seiner Zelle. Seiner Frau hat er einen Abschiedsbrief voller versteckter Hinweise hinterlassen.

Gegen Tote, so will es die Gesetzgebung, darf nicht ermittelt werden. Die Akte wurde geschlossen, fast alle Asservate wurden vernichtet. Ein Fehler, der nicht wiedergutzumachen war. Man hätte weiter ermitteln können und müssen. Denn Wichmann hatte wahrscheinlich Mittäter: Zeugen hatten in der Nacht, in der Birgit Meier verschwand, das Geräusch eines laufenden Automotors gehört. Möglicherweise der wartende Komplize. Und so blieb das Rätsel um Birgit Meier ungeklärt: War Wichmann der Mörder? Wen hatte er noch auf dem Gewissen?

Jahrelang hielten die Lüneburger Polizisten Wolfgang Sielaff hin und beteuerten jedes Mal, alles Menschenmögliche zu tun. Zu Beginn der 2000er-Jahre ging Sielaff in den Ruhestand. Er beantragte Akteneinsicht in den Fall seiner Schwester und fiel aus allen Wolken, als er die Ermittlungsfehler und Versäumnisse der Lüneburger Polizei erkannte. Schließlich versammelte er Weggefährten, vom Gerichtsmediziner bis zum Staatsanwalt, in seinem Kernteam um sich und rollte den Fall neu auf. Das Kernteam entwickelte neue Ansätze und drängte die Lüneburger Polizei dazu, zwei neue Ermittlungsgruppen zu gründen. Die EG Iterum und die EG Göhrde.

Die EG Iterum fand nach neun Monaten Ermittlungsarbeit bei der Rechtsmedizin Hannover ein Asservat, das der Vernichtung entgangen war: die Handschelle mit dem Bluttropfen. Dank neuer DNA-Methoden stand bald fest: Es war das Blut von Birgit Meier. Sie war also in der Gewalt von Kurt-Werner Wichmann gewesen.

Die EG Göhrde arbeitete die Akten und die vorhandenen Asservate der Göhrde-Morde noch einmal auf. Dabei wurden nun auch Klebefolien ausgewertet, mit denen 1989 Spuren von den Autositzen der Göhrde-Mordopfer gesichert worden waren. Mit moderner Technik konnten diese ausgewertet werden. Und es fand sich darauf die DNA von Kurt-Werner Wichmann.

Die Lüneburger Polizei schloss die Akten im Fall Birgit Meier, er galt als aufgeklärt, auch wenn ihre Leiche noch nicht gefunden worden war.

Doch Wolfgang Sielaff und seiner Familie ließ das Schicksal von Birgit Meier keine Ruhe. Sie konzentrierten sich auf das Haus von Kurt-Werner Wichmann, in dessen Garage sich eine Kfz-Grube befand. Am 29. September 2018 suchte das Kernteam dort und stieß in einer Ecke der Grube auf einen Hohlraum. Und im Sand dieses Hohlraumes auf menschliche Knochen, es waren die Überreste von Birgit Meier. Die Obduktion ergab, dass Birgit Meier mit zwei Kopfschüssen aus einer Kleinkaliberwaffe getötet wurde. Genau wie drei der Göhrde-Opfer und wie ein weiteres Mordopfer aus dem Jahr 1968.

Diese Dokumentation zeichnet diesen unglaublichen Fall eindrucksvoll nach. Das Team durfte drei Jahre lang Wolfgang Sielaff und seine Mitstreiter exklusiv begleiten, war bei allen entscheidenden Momenten mit der Kamera dabei und sprach mit Ermittlern und Angehörigen der Opfer.

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