Berliner Legenden

Berliner Legenden

Schon zu Lebzeiten umrankte Evelyn Künneke der Ruf, eine der großen Exzentrikerinnen des Showgeschäftes zu sein. Sie war Wehrmachts-Swing-Idol, frühe Wirtschaftswunder-Ikone, in den 70er Jahren der Antistar und in ihren letzten Jahren Deutschlands schrägste Oma, gut für jeden Skandal. Ihr Leben war legendenumrankt - irgendwann geisterten so viele Anekdoten und Geschichten um und über sie herum, dass man schlicht ihr ganzes Leben für eine einzige Inszenierung hielt. Tatsächlich war das Leben der Evelyn Künneke wie ein spannend schillernder Roman: voller glamouröser Höhepunkte und privater Katastrophen.

Sie war eine der großen deutschen Diven und letzte Überlebende der Lili-Marleen-Generation.

In den 30er Jahren ist sie als Stepptänzerin heiß begehrt und anrüchig zugleich. Unter dem amerikanischen Pseudonym Evelyn King wirbelt die 17-Jährige noch vor Kriegsbeginn über die Berliner Variete-Bühnen. Bald macht die auffallend attraktive Komponistentochter eine zweite Karriere: Michael Jary, der Komponist der großen Revue- und Schlager-Filme der NS-Zeit, ist von der Stepperin fasziniert. Er schreibt ihr einen Hit, der sie zum Star macht: "Sing, Nachtigall, sing" wird, neben "Lili Marleen", der Kriegshit der deutschen Wehrmacht. Ständig bei der Truppenbetreuung unterwegs, gerät sie bei einem Konzert in Holland ins Visier des Regimes: Sie wird wegen deutschfeindlicher, "minderwertiger" Äußerungen verhaftet und kurz vor Kriegsschluss zum Tode verurteilt. Doch sie hat Glück und Gönner bei der Wehrmacht. Sie soll zusammen mit einem geheimnisvollen Propaganda-Orchester US-Jazz-Songs nachsingen, Ella Fitzgerald für den Kriegsgegner imitieren. Doch dazu kommt es nicht mehr, der Krieg ist vorbei.

Evelyn Künneke wird in den ersten Jahren der Nachkriegszeit einer der meistgespielten deutschen Schlagerstars. Sie ersingt sich sieben goldene Schallplatten mit Liedern, deren Titel bis heute unvergessen sind und die für diese Jahre der Not und des Neubeginns stehen.

Irgendwann in den 50er Jahren ist die Künneke plötzlich out, ihre Lieder zünden nicht mehr. Sie tingelt und trinkt. Dann ist sie völlig ruiniert. Davon fasziniert, entschließt sich der Skandale liebende Berliner Filmemacher Rosa von Praunheim, einen Film über die taumelnde Diva zu drehen. Das Werk wird zur Initialzündung für ihr Comeback, dass sie bis nach New York führt.

Die Künneke ist Mitte der 70er Jahre plötzlich wieder da. Und nun hält sie das Glück fest. Sie bleibt im Showgeschäft und tourt noch als ältere Dame durch die Republik. Ihr Programm "Drei alte Schachteln", gemeinsam mit Brigitte Mira und Helen Vita, ist der Reflex auf die alles vereinnahmende Jugendwelle der 90er Jahre.

Claus Räfle rekonstruiert die berührende und schillernde Geschichte ihres Lebens. Es ist zugleich ein Stück Zeitgeschichte aus unterhaltsamer Perspektive. Ein Leben, wie geschaffen für einen Film.

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