Spiel's noch einmal, Theresa

Spiel's noch einmal, Theresa

Die Brexit-Tragikomödie aus filmischer Sicht

28.03.2019 - 16:03 Uhr

Reality TV feiert, um eine alte Emmy-Ansprache aufzugreifen, das Außergewöhnliche im Gewöhnlichen. Von seiner besten Seite zeigt sich das Format aktuell Tag für Tag im britischen Unterhaus, das rund um die Brexit-Diskussion all jene Dramen und – teils unfreiwilligen – Heiterkeiten des Lebens auf die Weltbühne zaubert, die man sich als Unbeteiligter nur wünschen und als Anglophiler oder direkt Betroffener nur bedauern kann.

Das Drehbuch für den Ausstieg des täglich kleiner werdenden Britanniens wurde dabei schon mehrfach umgeschrieben und zuletzt fast gänzlich geschreddert, doch ein Happy End ist deshalb längst nicht ausgeschlossen. Lernen können die Briten dabei von der Filmbranche, die reich ist an Filmen, die noch während der Dreharbeiten die Richtung änderten und trotzdem irgendwie ans Ziel kamen:

Planlos in den Endkampf: Der Hobbit

Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Filmen möglich, aber eher unwahrscheinlich: Der Hobbit-Teaser versprach, wie der Brexit, das Blaue vom Himmel

Wenn ein Filmprojekt des letzten Jahrzehnts für den aktuellen Brexit-Stand stehen kann, dann sicherlich der Hobbit, der mit falschen Erwartungen begann, auf halbem Weg die Richtung wechselte und am Ende nur mit Mühe ins Ziel kroch. Das gesamte Drama hinter den Kulissen der Trilogie, die als recht kurzes Buch begonnen hatte, würde für sich genommen einen bemerkenswerten Film abgeben und bietet, was ein großes Drama nur bieten kann.

Tragischer Held der Handlung ist Regisseur Peter Jackson, der an sich überhaupt nicht Regie führen wollte, sondern zunächst froh war, dass Guillermo Del Toro die Projektleitung übernommen hatte. Del Toros Ziel: Eine phantasie- und humorvolle Umsetzung von Tolkiens Kinderbuch Der kleine Hobbit in zwei Teilen.

Dummerweise kam Del Toro die Beinahe-Pleite des produzierenden Studios in den Weg, und die neuen Herren der Kassen wollten keinen Kinderfilmzweiteiler mehr, sondern eine Prequel-Trilogie der großen Cashcow-Trilogie Der Herr der Ringe mit reduziertem Humor, reduzierten Zwergen, einer vermarktbaren Liebesgeschichte, riesigen Schlachten und einer möglichst langen Laufzeit. Del Toro sagte, nein danke, Jackson sagte, na gut, ich mach's, und ehe er sich versah, saß er nach viel zu kurzer Einarbeitungszeit einsam inmitten riesiger Kulissen und noch riesiger Greenscreen-Wände und versuchte, zu retten, was eben zu retten war.

Positiv gesehen gelang Jackson dabei ein bemerkenswerter Erfolg, denn am Ende seiner deprimierenden Arbeit stand tatsächlich eine Filmtrilogie, die ordentlich Geld einspielte. Negativ gesehen war das Endergebnis eine unstrukturierte Aneinanderreihung unzusammenhängender Handlungsstränge und weder dem Ausgangsmaterial angemessen, noch eine taugliche Vorgeschichte zum Herrn der Ringe.

Oder als Brexit-Vorlage gedacht: Die ursprünglichen Versprechen und Erwartungen kann man vergessen, und am Ende kommt nur irgendein Monster gleichen Namens heraus. Congratulations!

Chaos, Krisen, Cleopatra

Exotisch, verrucht und Rex Harrison taucht auch noch auf: Das Cleopatra-Marketing stürzte sich, wie der Brexit-Bus mit seinen wirren Millionenangaben, auf das Skandal-Element und vergaß darüber die Handlung

Die Geschichte hinter der Produktion von Cleopatra ist die einer bemerkenswerten Fehlannahme. Ausgangspunkt war die Überlegung der unlängst von Disney verschlungenen 20th Century Fox, dass kein Riesenhit schneller und billiger produziert werden könnte als ein Sequel – ja, so dachte man schon in den 60ern -, also kramte man mit Cleopatra eine Geschichte hervor, die man bereits zweimal – 1917 und 1934 – umgesetzt hatte und die alles enthielt, was Kasse zu machen versprach: Sex, Exotik und Monumentalität.

Dummerweise war die erste Vorlage ein Stummfilm, dessen Drehbuch entsprechend eher schlecht recycelt werden konnte, und die zweite ein aus der Zeit gefallenes Relikt, sodass sich bereits die Arbeiten am neuen Drehbuch deutlich verzögerten, da die gesamte Handlung komplett neu entwickelt werden musste. Dazu kam die brillante Entscheidung, das alte Ägypten in England zum Leben zu erwecken, in dessen Nieselregen die Pappmaché-Kulissen schnell zu zerfallen begannen und Hauptdarstellerin Elizabeth Taylor, die für deutlich zu viel Geld angeworben worden war, sich eine lebensbedrohliche Lungenentzündung zuzog, welche sie erst nach äußerst teuren Ruhemonaten auskuriert hatte, in denen alle Londoner Sets zerstampft wurden, bevor man im klimatisch deutlich geeigneteren Rom praktisch bei 0 anfing.

Dass der Film dennoch dramatische und visuelle Qualitäten entwickelte, war unterm Strich einzig Regisseur – und später Drehbuchautor – Joseph L. Mankiewicz geschuldet, der von Tag zu Tag mit Finesse und Augenmaß neue Szenen schrieb und das Projekt zwar deutlich hinter seinem Zeitplan, aber zumindest mit einer gewissen Klasse über die Ziellinie führte. Bevor, und auch das sei eingeräumt, das Studio seinen 6-Stunden-Schnitt auf kaum 3 herunterschnitt, um mehr Aufführungen und mehr Einnahmen zu generieren.

Brexit-Lektion von Cleopatra: Mit dem richtigen Projektleiter und deutlich mehr Zeit und Geld, als ursprünglich eingeräumt, lässt sich vieles retten, aber eine Quadratur des Kreises kann selbst der nicht leisten. Note: Norwegen+

Glücklich zum Happy End: Casablanca

Der Casablanca-Trailer setzte auf Drama, Exotik, Liebe und Tod. Und versprach damit deutlich weniger, als der Film am Ende hielt, ein Vorbild, das den Brexitdebatten durchaus gut tun würde

Genau wie Der Hobbit und Cleopatra basierte auch Casablanca auf einer Vorlage, und genau wie bei den beiden anderen Brexit-Vorbildern erwies sich diese als unzureichend. So endet das Theaterstück Everybody Comes to Rick's nicht etwa mit dem Beginn einer wundervollen Freundschaft, sondern mit Ricks Festnahme durch Hauptmann – erst der Film machte ihn zum Major – Strasser und seinem Abtransport in ein Konzentrationslager, ein Ende, das mitten im Zweiten Weltkrieg nicht einmal in einem Film Noir vermittelbar gewesen wäre.

Um das Theaterstück dennoch zum Filmerfolg zu machen, heuerte Produzent Hal B. Wallis im Auftrag von Warner Bros. teils nacheinander, teils parallel 4 Drehbuchautoren an, wobei bis heute darüber gestritten wird, wieviel von wessen Arbeit tatsächlich im Film landete. Aufgrund des engen Zeitplans begannen die Dreharbeiten, bevor das Drehbuch vollendet war, sodass Hauptdarstellerin Ingrid Bergmann mittendrin nachfragen kam, wen ihrer zwei Gegenparts sie nun eigentlich mehr lieben sollte. Die Antwort, beide gleichviel zu lieben, half ihr vermutlich nicht wirklich weiter.

Glücklicherweise wollte es die Filmmagie, dass die 4 Autoren mit ihren unterschiedlichen Kerninteressen – der Thrilleraspekt, die Liebesgeschichte, die politischen Zusammenhänge und das allgemeine Melodram – ein bemerkenswertes Gesamtkunstwerk produzierten, dessen Grundhandlung zwar bei genauerem Hinsehen keinen unbedingten Sinn ergibt (die eifrig gesuchten Passierscheine der ermordeten deutschen Kuriere sind mehr Lücke, als Schlüssel zur Handlung), das aber so gut gespielt, inszeniert und arrangiert wurde, dass Casablanca bis heute völlig zu Recht als einer der besten Filme aller Zeiten gilt.

Brexit-Lektion: Viele Köche können mit den richtigen Zutaten durchaus einen schmackhaften Brei anrichten, wenn das Glück und die Chemie es wollen. Und wenn, wie im Falle von Casablanca, ein ausnahmslos erfahrener Steuermann die Richtung vorgibt, dessen Autorität – wie die der Passagierscheine im Film – von niemandem infragegestellt wird.

Zeit also, Winston Churchill auszugraben und den Beginn einer wundervollen Freundschaft einzuleiten, liebe Briten?