Von allen Spielarten nationalistischer Selbstverherrlichung haben sich die Briten sicherlich die sympathischste erdacht: Ein großes, buntes Konzert mit tausend Flaggen und Zuschauern aus ebensovielen Landstrichen, veranstaltet an einem der Sehnsuchtsorte der viktorianischen Welthauptstadt - in der Royal Albert Hall - und live übertragen nicht nur hinaus in die Londoner Parks, sondern in alle Ecken des gerade im Brexit-Jahr immer weiter schrumpfenden Empires sowie - zum Vergnügen und Staunen der übrigen Weltbevölkerung - auch in die nicht-britischen Länder.
Die eine Seite der Proms: Gassenhauer
Zur Einordnung: Promenadenkonzerte allgemein gibt es dabei schon seit dem 18. Jahrhundert, aber die heutigen Proms gehen auf das Jahr 1895 zurück, als sich ein Londoner Intendant und Geschäftsmann das ehrenwerte Ziel steckte, die breite Öffentlichkeit an die klassische Musik heranzuführen. Sein damaliger Plan war hochmodern gedacht, denn ihm schwebte vor, die Leute mit populären Stücken zu ködern und sie dann langsam an exquisitere Genüsse heranzuführen.
Und die andere Seite der Proms: Klassische Avantgarde
Bis heute verschreiben sich die Proms diesem Gedanken und präsentierten Gassenhauer wie Beethovens 9. oder Ravels Boléro in Kombination mit modernen Kompositionen zeitgenössischer Komponisten. Kein Konzert der Saison feiert diesen Mix aus Populärmusik und Anspruch aber mit so viel Nähe zum Publikum wie die Last Night, bei der Englands Weltreich für einen Abend im Jahr noch einmal aufleben darf und Weltmachthymnen wie "Rule, Britannia" und "Land of Hope and Glory" mit echter Inbrunst geschmettert durch die Nacht schallen.
Würde man das Ganze ernstnehmen, müsste man glatt Napoleons Kontinentalsperre wiederbeleben, aber glücklicherweise ist die Stimmung Jahr für Jahr erstaunlich entspannt für Zeilen wie "Weiter und immer weiter sollen Deine Grenzen gezogen werden / Gott, der Dich mächtig machte, soll Dir noch mehr Macht verleih'n", und so wehen seit Jahren Union Jacks und Georgskreuze in der Royal Albert Hall Seite an Seite mit japanischen Fahnen, Sternenbannern und selbst der deutschen Trikolore, beinahe, als wäre die Welt für einen Abend tatsächlich eins. Schöne, alte Welt?
Die Last Night of the Proms seht ihr heute ab 22 Uhr im NDR. Natürlich auch kostenlos, ohne Anmeldung und live auf TV.de und in allen unseren TV-Apps. Wiederholungen gibt es am Sonntagmorgen um 10 Uhr auf ONE und am Montagfrüh um 2:30 Uhr im NDR. Wir wünschen euch viel Vergnügen und Sangeskraft!